Kapitallebensversicherung in Pfändung und Insolvenz: Aktuelle Entscheidung des BGH mit Bezügen zum Insolvenzrecht zur Abtretung und Pfändung einer Direktversicherung
„Bei einer zur betrieblichen Altersversorgung abgeschlossenen Direktversicherung unterliegt die Abtretung des mit dem Eintritt des Versorgungsfalles fälligen Anspruchs auf Auszahlung der Versicherungsleistung nicht dem Abtretungsverbot des § 2 Abs. 2 S. 4 BetrVG“ (BGH, Urteil vom 20.05.2020 – IV ZR 151/19).
Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Reichweite eines betrieblichen Abtretungsverbots in der betrieblichen Altersversorgung.
Hintergrund
In dem vom BGH zu entscheidenden Fall nahm der Kläger den beklagten Versicherer auf Auszahlung der Erlebensfallleistung aus einer Kapitallebensversicherung in Anspruch. Der damalige Arbeitgeber des Klägers schloss den Versicherungsvertrag als Direktversicherung für den Kläger ab. Der Kläger arbeitete im Betrieb seiner Eltern. Versicherungsbeginn war März 1983, die Versicherungsdauer betrug 34 Jahre. Dem Kläger wurde ein grundsätzlich unwiderrufliches Bezugsrecht auf die Todes- und Erlebensfallleistung eingeräumt. Zum März 1993 wurde der Versicherungsvertrag beitragsfrei gestellt und auf den Kläger als Versicherungsnehmer übertragen. Zur Begründung wurde der Versicherung mitgeteilt, der vormals elterliche Betrieb sei im Vorjahr an den Kläger übergeben worden und werde von ihm als Einzelunternehmer fortgeführt. Am 30. November 1999 trat der Kläger zur Absicherung eines Geschäftskredits die gegenwärtigen und künftigen Forderungen, die im Todesfall gegen die Beklagte bestehen, mit allen Rechten an die Rechtsvorgängerin der Beklagten ab. Am 29. Januar 2001 trat er zur Absicherung eines mit der Rechtsvorgängerin taggleich vereinbarten Kredits die bestehenden und künftig entstehenden Forderungen gegen die Beklagte mit allen Rechten ab. Auf die Anzeige der Abtretung durch die Rechtsvorgängerin wies die Beklagte diese am 21. März 2001 darauf hin, dass die Versicherung in Höhe des Werts, der durch Beitragszahlung des früheren Arbeitgebers entstanden sei, gemäß § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG nicht abgetreten werden könne und auch eine Auszahlung des Rückkaufswerts ausgeschlossen sei. Hierüber informierte die Beklagte den Kläger. Im Juli 2005 zeigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten an, dass die Rechte aus der Versicherung an sie abgetreten worden seien. Am 1. August 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Die Beklagte erklärte gegenüber dem Insolvenzverwalter, dass die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag nach Maßgabe von § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG weder abtretbar noch pfändbar seien. Im Februar 2016 bat die Rechtsvorgängerin der Beklagten um Vollzug der Abtretung, nachdem die Beklagte zuvor bei ihr angefragt hatte, ob die Abtretung noch zu berücksichtigen sei. Der über den bevorstehenden Ablauf der Versicherung informierte Insolvenzverwalter gab unter dem 6. Februar 2017 eine Freigabeerklärung ab. Nach Eintritt der Fälligkeit am 1. März 2017 zahlte die Beklagte die Erlebensfallleistung in Höhe von € 11.713,35 an die Rechtsvorgängerin aus. Der Kläger hielt die von ihm erklärten Abtretungen für unwirksam, weshalb die Beklagte ihm die Versicherungssumme auszuzahlen habe. Jedenfalls habe sich die Beklagte aufgrund ihrer Zusicherung, die Abtretungen könnten an der betriebsrentenrechtlichen Verfügungsbeschränkung scheitern, schadensersatzpflichtig gemacht. Das Landgericht hat der auf Zahlung von € 11.713,35 nebst Zinsen gerichteten Klage mit Ausnahme eines Teils der Zinsforderung stattgegeben. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Gesetzliche Regelung
Grundsätzlich darf der ausgeschiedene Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 S. 4 Betriebsrentengesetz (BetrVAG) die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in Höhe des durch die Beitragszahlungen des Arbeitgebers gebildeten geschäftsplanmäßigen Deckungskapitals weder abtreten noch beleihen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag nicht anderweitig verwendet werden. Die Ansprüche sollen der Altersversorgung des jeweiligen Arbeitnehmers dienen und unterliegen daher einem grundsätzlichen Abtretungs- und Verpfändungsverbot.
BGH hält Abtretung für wirksam
Der BGH schließt sich der Entscheidung des Berufungsgerichts an, wonach dem Kläger kein Zahlungsanspruch zusteht, weil er bei Eintritt des Versorgungsfalles nicht mehr Inhaber des Anspruchs auf die vertragliche Ablaufleistung war. Die maßgebliche Abtretung vom 29. Januar 2001 habe zulässigerweise auch künftige Forderungen erfasst. Sie sei unter Bestimmtheitsgesichtspunkten nicht bedenklich und nicht aufgrund eines Abtretungsverbotes unwirksam. Die in § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG geregelte Verfügungsbeschränkung habe nicht entgegengestanden, weil sie lediglich vorzeitige Verfügungen verbiete und den Kläger deshalb nicht gehindert habe, im Rahmen einer Sicherungsabtretung über den erst am 1. März 2017 fällig werdenden Anspruch auf Auszahlung der Erlebensfallleistung zu verfügen. Die Verfügungsbeschränkung erfasse nur solche Forderungen, die vor Eintritt des Versicherungsfalles fällig würden. Die erst nach Eintritt des Versicherungsfalles fälligen Forderungen habe die Norm, die allein dem Schutz der Anwartschaft diene, nicht im Blick. Auch unter dem Gesichtspunkt des § BGB § 1365 BGB bestünden keine Zweifel an der Wirksamkeit der Abtretung. Es spreche nichts dafür, dass die Erlebensfallansprüche im Zeitpunkt der Abtretung den einzigen Vermögensgegenstand des Klägers dargestellt hätten. Die Beklagte sei auch nicht gehalten, den Kläger im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er die Ablaufleistung zu beanspruchen. Selbst wenn die Beklagte in der Vergangenheit gegenüber dem Kläger die unzutreffende Auffassung vertreten hätte, die Abtretung sei unwirksam, wäre eine darin liegende Pflichtverletzung angesichts der damaligen Rechtslage jedenfalls nicht schuldhaft gewesen. Zudem sei völlig offen, welchen Vermögensschaden der Kläger durch eine möglicherweise unrichtige Auskunft der Beklagten erlitten haben könnte.
Kein Anspruch des Klägers auf Ablaufleistung, da wirksame Abtretung
Der geltend gemachte Anspruch auf die Ablaufleistung stand dem Kläger nicht mehr zu, weil er ihn vor Eintritt des Versorgungsfalles wirksam abgetreten hat.
Bei einer zur betrieblichen Altersversorgung abgeschlossenen Direktversicherung im Sinne von § 1 b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG unterliegt die Abtretung des mit dem Eintritt des Versorgungsfalles fälligen Anspruchs auf Auszahlung der Versicherungsleistung nicht dem Verbot des § 2 Abs. 2 S. 4 BetrVAG.
Die vom Kläger am 29. Januar 2001 erklärte Abtretung war, soweit sie sich auf den Anspruch auf Zahlung der Erlebensfallleistung bezog, nicht wegen Verstoßes gegen dieses Verbot nichtig (§ 134 BGB). Es ist daher irrelevant Inwieweit sein vor Übertragung des Versicherungsvertrags mit Betriebsübernahme erfolgter Statuswechsel vom Arbeitnehmer zum Inhaber der Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG entgegenstehen könnte.
Grundsatz: keine Abtretung oder Verpfändung von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag
Grundsätzlich darf der ausgeschiedene Arbeitnehmer die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in Höhe des durch Beitragszahlungen des Arbeitgebers gebildeten geschäftsplanmäßigen Deckungskapitals weder abtreten noch beleihen. In dieser Höhe darf der Rückkaufswert aufgrund einer Kündigung des Versicherungsvertrags nicht in Anspruch genommen werden; vielmehr wird der Vertrag im Falle einer Kündigung in eine prämienfreie Versicherung umgewandelt (§ 2 Abs. 2 S. 5 BetrVAG).
Anwartschaft soll für Versorgungszeck erhalten bleiben
Durch diese Bestimmungen soll im Rahmen des rechtlich Möglichen die bestehende Anwartschaft für den Versorgungszweck erhalten bleiben, das heißt verhindert werden, dass der Arbeitnehmer die Anwartschaft liquidiert und für andere Zwecke verwendet (Senatsurteil vom 8. Juni 2016 – BGH Aktenzeichen IVZR34615 IV ZR 346/15).
Abtretungs- und Pfändungsverbot greift nicht, wenn Versorgungsfall eingetreten
Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG gilt nicht mehr, wenn die Versorgungsanwartschaft zum Vollrecht erstarkt ist (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 – VIIZB1608 VII ZB 16/08). Die Norm enthält keine gesetzgeberische Entscheidung darüber, in welchem Umfang der Arbeitnehmer bei Eintritt des Versorgungsfalles tatsächlich in den Genuss der Alterssicherung kommen soll. Ist der Versorgungsfall eingetreten, richtet sich der Schutz des Schuldners nicht mehr nach § 2 Abs. 2 S. 4 BetrVAG, sondern nach den allgemeinen Pfändungsschutzvorschriften (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2018 – IXZB817 IX ZB 8/17). Die Verfügungsbeschränkung erfasst nur solche Forderungen, die vor Eintritt des Versicherungsfalles fällig werden.
Geltung der allgemeinen Pfändungsschutzvorschriften
Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung ist vor Eintritt des Versicherungsfalles als zukünftige Forderung pfändbar (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2014 – IXZB6912 IX ZB 69/12, VersR 2015). Daraus folgt zugleich, dass § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG auch einer Vorausabtretung dieses Anspruchs durch den mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmer nicht entgegensteht.
Anspruch auf Rückkaufswert und Anspruch auf Versicherungsleistung
Das Recht auf den Rückkaufswert ist zwar nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme. Gleichwohl sind der Anspruch auf die Versicherungsleistung im Versicherungsfall und der Anspruch auf den Rückkaufswert nach Kündigung aber keine Teile eines einheitlichen Anspruchs, sondern zwei getrennte Ansprüche. § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG zielt zeitlich nur auf den Schutz der Anwartschaft ab. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts, die Anwartschaft dürfe dem Versicherungsnehmer nicht lediglich als leere Hülle verbleiben, schützt § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG den Arbeitnehmer nach dem vom Gesetzgeber gewählten Regelungskonzept nicht davor, dass mit dem Erstarken der Versorgungsanwartschaft zum Vollrecht tatsächlich nicht er, sondern aufgrund vorangegangener Abtretung der Zessionar in den Genuss der Versicherungssumme kommt.
Als Fachanwälte für Insolvenz- und Arbeitsrecht beraten wir Sie gerne rund um das Thema betriebliche Altersversorgung und Insolvenz insbesondere im Hinblick auf die Abtretung und Pfändbarkeit von Versorgungsanwartschaften und unterstützen Sie bei der Geltendmachung Aussonderungsrechten gemäß § 47 InsO zum Erhalt und zur Sicherung Ihrer Altersversorgung als Geschäftsführer, Gesellschaftergeschäftsführer oder Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren.