Insolvenzrecht - Schadensersatzpflicht des Unternehmensberaters gegenüber dem Geschäftsführer der beauftragenden GmbH wegen Pflichtverletzung bei Sanierungsbegutachtung
Im Rahmen einer Sanierungsbegutachtung nach IDWS6-Standard gehört es zu den Kernanforderungen an den Gutachter, in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen Eilmaßnahmen anzuhalten. Ein Verweis des Gutachters auf die Nichterbringung von Rechts- und Steuerberaterleistungen, weil der beauftragte Gutachter weder Rechtsanwalt noch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ist, befreit diesen nicht von den zur Erfüllung der Pflicht nach IDWS6 zu treffenden Feststellungen zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Der Geschäftsführer kommt aufgrund § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. mit der Frage der Insolvenzreife der GmbH in gleicher Weise in Berührung wie die GmbH als Auftraggeber selbst, weshalb der Begutachtungsvertrag nach IDWS6-Standard Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers entfaltet.
OLG Bamberg, Urteil vom 31.07.2023 – 2 U 38/22.
Hintergrund
Die Parteien streiten über Ansprüche wegen Pflichtverletzung aus einem Sanierungsberatervertrag. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der B-GmbH. Diese gehörte zusammen mit der X-GmbH und der Y-GmbH zur X-Firmengruppe. Geschäftsführer der B war Herr H. Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der D-GmbH. Diese beriet kleine und mittlere Unternehmen in Krisensituationen. Im Frühjahr 2013 befand sich die X in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Auf Initiative eines Kreditgebers sollten die wirtschaftlichen Fortführungsmöglichkeiten der X durch eine externe Begutachtung festgestellt werden. Hierzu legte die D im April 2013 zunächst eine Projektskizze vor betreffend die Erstellung eines Sanierungsgutachtens in Anlehnung an den IDWS6-Standard. Auf der letzten Seite der Projektskizze befindet sich unmittelbar über den Unterschriften folgende Bestimmung:
„Die D erbringt keine Rechts- oder Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsleistungen. Sie wird alles unternehmen, um die beschriebenen Aufgaben erfolgreich zu erfüllen und haftet für vorsätzliche und grobe Fahrlässigkeit ihrer Berater für Vermögensschäden bis zu einer Höhe von 1 Million €. Die D verpflichtet sich, alle Informationen über den Auftraggeber und dessen Unternehmen, von denen die Berater im Rahmen des Projekts Kenntnis erhalten, streng vertraulich zu behandeln.“
Die B-GmbH beauftragte die D daraufhin am 06.05.2013 mit der Erstellung eines Sanierungsgutachtens entsprechend dem in der Projektskizze vom 25.04.2013 beschriebenen Auftragsumfang. Aufgrund des Eigenantrags der B vom 13.03.2014 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Insolvenzgericht Neubrandenburg vom 16.04.2014 nichtsdestotrotz das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger war der Auffassung, dass der Geschäftsführer H gemäß § 64 S. 1 GmbHG a. F. zum Ersatz masseschmälernder Zahlungen verpflichtet sei, welche die B in den Monaten Januar und Februar 2014 geleistet habe, da die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig gewesen sei. Die D habe es versäumt, auf die Insolvenzreife der B hinzuweisen, obwohl sie hierzu bei einem Sanierungsgutachtens nach IDWS6-Standard verpflichtet gewesen sei. Der Vertrag über das Sanierungsgutachten entfaltet Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers, der über § 64 GmbHG a. F. von der zu prüfenden Insolvenzreife in gleicher Weise betroffen sei wie die Gesellschaft selbst.
LG weist Klage ab
Mit am 19.07.2022 verkündetem Endurteil hat das LG die Klage abgewiesen. In der Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass es bereits an einer Einbeziehung des Geschäftsführers H in den Schutzbereich des zwischen der D und der B geschlossenen Beratungsvertrages fehle. Die vertraglich geschuldete Fortbestehens- und Fortführungsprognose habe allein den wirtschaftlichen Interessen der B gedient.
OLG – Kläger steht 50 %iger Zahlungsanspruch zu
Das OLG urteilte, dass die zulässige Berufung teilweise begründet ist. Dem Kläger steht aus abgetretenem Recht unter Berücksichtigung eines Anspruchs kürzenden Mitverschuldens des Geschäftsführers der B von 50 % ein Zahlungsanspruch gemäß der §§ 280 Abs. 1, 611, 675, 398 BGB zu. Mit dem zwischen der B und der D mit Auftragserteilung vom 06.05.2013 geschlossenen Sanierungsberatungsvertrag wurde das vollständige Leistungsspektrum nach dem Standard IDWS6 beauftragt. Eine hiervon abweichende und abschließende Vereinbarung durch die D zu erbringender Leistungen besteht nicht. Grundlage des Vertrages war die Projektskizze aus dem April 2013. In der Überschrift der Projektskizze ist angeführt, dass die Fertigung des Gutachtens in Anlehnung an den IDWS6-Standard erfolgt. Insoweit ist durch den Sanierungsgutachter der Hinweis auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit in einer Form geschuldet, die es dem Auftraggeber ermöglicht, die gebotenen rechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Der Sanierungsgutachter hat danach den Eintritt der Insolvenzreife im Zeitraum bis zur Fertigstellung des Gutachtens auszuschließen. Für den Gutachter selbst gilt, dass er die Begutachtung zu beenden oder zu versagen hat, sobald für ihn erkennbar wird, dass eine Insolvenzantragspflicht bereits vorliegt und dennoch eine außergerichtliche Sanierung noch versucht werden soll.
Eine Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB der D ist gegeben. Sie hat nicht in der vertraglich geschuldeten Form auf eine bei Vorlage des Gutachtens am 29.07.2013 bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit der B hingewiesen. Der Vertrag zwischen der B und der D über die Erbringung von Leistungen der Sanierungsberatung entfaltet Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers der B. Gegen den Geschäftsführer der B bestehen daher aufgrund masseschmälernder Leistungen gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. die geltend gemachten Ansprüche. Die im unterlassenen Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit begründete Pflichtverletzung der D war auch kausal für den eingetretenen Schaden.
Die Entscheidung des OLG Bamberg konkretisiert die Pflichten von Unternehmensberatern im Rahmen einer Sanierungsbegutachtung. Kernanforderungen an den Gutachter sind insbesondere in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen Maßnahmen anzuhalten.