Insolvenzantragspflicht bleibt ausgesetzt bis Ende April
Der Bundesrat hat am 18. September 2020 die Verlängerung einer Ausnahmeregelung für überschuldete Firmen in der Corona-Krise gebilligt, die der Bundestag am Vorabend verabschiedet hatte. Damit wurde die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages bis zum Jahresende ausgesetzt. Inzwischen wurde die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende April 2021 verlängert. Damit sollen die Folgen der Pandemie für die Wirtschaft abgefedert werden. verlängerte Aussetzung gilt nur für Unternehmen, die überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind. Diese sollen die Möglichkeit haben, sich weiterhin unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsangebote oder durch außergerichtliche Verhandlungen zu sanieren und zu finanzieren.
Finanzielle Hilfen müssen zur Beseitigung der Insolvenzreife geeignet sein
Die Verlängerung kommt den Schuldnern zugute, die einen Anspruch auf finanzielle Hilfen aus den aufgelegten Corona-Hilfsprogrammen haben und deren Auszahlung noch aussteht, heißt es von Seiten der Bundesregierung. Voraussetzung ist grundsätzlich, dass die Hilfe bis zum 28. Februar 2021 beantragt wurde und die erlangbare Hilfeleistung zur Beseitigung der Insolvenzreife geeignet ist. Auf die Antragstellung kommt es jedoch ausnahmsweise nicht an, wenn eine Beantragung der Hilfen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bis zum 28. Februar 2021 nicht möglich war. In diesen Fällen soll auf die Antragsberechtigung abgestellt werden.
Schwierigkeiten müssen pandemiebedingt sein
Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gilt aber nur, wenn die Krise pandemiebedingt ist und mit einer Auszahlung der Hilfen zu rechnen ist. Schließlich muss durch die staatlichen Gelder eine Überlebenschance für das Unternehmen bestehen.
Die neuen Regelungen sind rückwirkend in Kraft getreten und haben sich damit nahtlos an das bestehende Gesetz angeschlossen.
Bereits in unseren Blogs vom Juni, August und September 2020 haben wir uns mit der Suspendierung der Insolvenzantragspflicht im Zuge der Corona-Pandemie beschäftigt und darauf hingewiesen, wie wichtig es ist frühzeitig die Weichen zwischen der Einleitung eines Insolvenzverfahrens ggf. in Eigenverwaltung oder Sanierung und Restrukturierung zu stellen und als Geschäftsführer zur Haftungsvermeidung die Insolvenzgründe laufend im Blick zu haben.
Grundsatz: Unverzügliche Antragstellung
Bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist grundsätzlich unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Höchstfrist von drei Wochen ein Insolvenzantrag zu stellen. Erfolgt dies nicht, kann die Geschäftsführung in einem späteren Insolvenzverfahren persönlich in Haftung genommen werden, was oft zum Vermögensverfall des Geschäftsführers führt. Auch strafrechtliche Ermittlungen und Verurteilungen wegen Bankrottdelikten im Falle einer Insolvenzverschleppung sind regelmäßige Folge einer verspäteten oder unterlassenen Antragstellung. Beachten sollte man auch, dass die vorgenannten Ansprüche im Falle einer Insolvenz „rückwirkend“ geltend gemacht werden können, also für eine unterlassene Antragstellung, die regelmäßig mehrere Jahre zurückliegt. Dies gilt es jedoch frühzeitig durch Überwachung des Vorliegens der Insolvenzgründe zu verhindern.
Die verlängerte Aussetzung soll nur für Unternehmen gelten, die überschuldet aber nicht zahlungsunfähig sind.
Zahlungsunfähigkeit
Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 InsO). Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/2004, ZinsO 2005/807 – 810). Sofern die Gemeinschuldnerin ihre Zahlungen bereits eingestellt hat, wird die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gesetzlich vermutet.
Überschuldung
Eine Überschuldung liegt gemäß §°19 Abs. 2 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen für die gemäß § 39 Abs. 2 InsO zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 InsO bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen. Nachdem nunmehr dauerhaft anwendbaren zweistufigen Überschuldungsbegriff kann eine Überschuldung erst angenommen werden, wenn das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten unter Einbeziehung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig – damit ist das laufende und das nächste Geschäftsjahr gemeint – nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (BGH, Urteil vom 15.03.2011 – II ZR 204/09, WM 2011 Seite 979 Rn. 30 ff.).
Ist ein Unternehmen noch nicht zahlungsunfähig, sondern nur überschuldet, soll es von der Insolvenzantragspflicht befreit werden. So soll insbesondere verhindert, werden, dass bereits zahlungsunfähige Unternehmen noch weiter mitgeschleppt werden und den Geschäftsverkehr schädigen.
Folgen für das Anfechtungsrisiko
Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH erhöht sich bei einer nachträglichen Änderung von Vertragsverhältnissen das Anfechtungsrisiko, insbesondere wenn solche Anpassungen vorgenommen werden, um bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten dem Geschäftspartner entgegenzukommen. Das Eingeständnis des Geschäftspartners, fällige Zahlungen in einer insolvenzrechtlich relevanten Größenordnung nicht erbringen zu können, indiziert nach der BGH-Rechtsprechung den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und zieht daher die erhebliche Gefahr der Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO nach sich.
Begleitend zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wurden auch Regelungen getroffen, die Gläubigern zugutekommen sollen, die ihren Vertragspartnern in der aktuellen Notlage zur Seite stehen. Gemäß § 2 COVInsAG sind Leistungen, die die Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen (Lieferanten-)Kredits bis 30. September 2023 und hierfür während des Anfechtungszeitraums bestellte Sicherheiten betreffen (Abs. 1 Nr. 2), grundsätzlich vom Anfechtungsrisiko befreit. Gleiches gilt gemäß Nr. 3 und 4 auch für sonstige Rechtshandlungen im Zusammenhang mit Forderungen aus der Zeit vor dem 1. März 2020, insbesondere deren Bezahlung oder anderweitigen Ausgleich sowie Maßnahmen zu deren Absicherung während des Aussetzungszeitraums.
Diese Regelung gewährt sogar Anfechtungsschutz für einige sogenannte „inkongruente“ Rechtshandlungen, namentlich
- Leistungen an Erfüllung statt oder erfüllungshalber;
- Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners;
- die Bestellung anderer als der ursprünglich vereinbarten Sicherheiten, wenn diese nicht werthaltiger sind;
- die (nachträgliche) Verkürzung von Zahlungszielen und
- die Gewährung von Zahlungserleichterungen.
Ausgenommen von diesen Privilegierungen sind Fälle, in denen die Insolvenz ihre Ursache nicht in den Folgen der Pandemie hat.
Gleiches gilt, wenn dem Gläubiger bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 COVInsAG (neu) gelten zudem bis zum 31. März 2022 erfolgte Zahlungen auf Forderungen, für die bis zum 28. Februar 2021 Stundungen gewährt wurden, als nicht gläubigerbenachteiligend, wenn die Insolvenzantragspflicht des die Zahlung leistenden Unternehmens wegen verzögerter Bearbeitung von bis Ende Februar 2021 gestellten Hilfsanträgen ausgesetzt war.
Bemühungen, dem alleine aufgrund der Krise in Not geratenen Vertragspartnern zur Seite zu stehen, waren bzw. sind im Falle alleine vorliegender Überschuldung in der verzögerten Bearbeitung von Anträgen auf staatliche Hilfe insolvenzrechtlich privilegiert. Dies umfasst zudem auch alle legitimen Maßnahmen, die zur eigenen Absicherung getroffenen werden.
Handeln Sie rechtzeitig!
Die Geschäftsführer von Unternehmen in der Krise sollten bereits jetzt frühzeitig laufend die Liquiditätsentwicklung im Rahmen einer wochengenauen Liquiditätsprüfung überwachen und Sanierungsoptionen prüfen. Bei absehbaren oder bereits eingetretenen Liquiditätsengpässen ist derzeit die Prüfung von kurzfristigen Finanzierungsmaßnahmen, z.B. Steuerstundungen, Stundung von Verbindlichkeiten (Miete, Kredite, Leasing), Entlastung von Lohnzahlungen oder die Inanspruchnahme von staatlichen Hilfen auf Bundes und Landesebene (u.a. direkte Zuschüsse und KfW-verbürgte Kredite) und die Beantragung von Kurzarbeitergeld zu prüfen.
Ist das Unternehmen bereits in der Krise stellt sich die Frage nach der richtigen Strategie. Neben der außergerichtlichen Sanierung und Restrukturierung des Unternehmens stellt auch die Insolvenz in Eigenverwaltung eine gute Option dar, sollten sich die Insolvenzgründe nicht kurzfristig beseitigen lassen.
Als Fachanwälte für Insolvenzrecht beraten wir Sie als Geschäftsführer oder Unternehmer gerne haftungsvermeidend zur Frage der Insolvenzantragspflicht und der ggf. gleichwohl bestehenden Weichenstellung zwischen Insolvenzverfahren ggf. in Eigenverwaltung oder außergerichtlicher Sanierung und Restrukturierung, Fortführung unter Neukreditierung bzw. Ermittlung eines Investors oder Liquidation.