Chance Eigenverwaltung
Trotz der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zusätzlicher Liquiditätshilfen sind Sie als Unternehmer oder Geschäftsführer eines Unternehmens ggf. gezwungen, Insolvenzantrag zu stellen. Dabei bietet sich vor allem die Eigenverwaltung zur Überwindung der finanziellen und leistungswirtschaftlichen Probleme an. Gerade die Tatsache, dass die Umsatzausfälle unverschuldet sind, lässt die Bereitschaft der Gerichte zu einer Sanierung in Eigenverwaltung steigen. Es ist daher auch kein Zufall, dass es zunehmend gerichtliche Entscheidungen zur Eigenverwaltung gibt.
So lässt der II. Senat des BGH (Beschluss vom 08.04.2020, AZ: II ZB 3/19) es für die Fortsetzung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG genügen, wenn die entsprechende Möglichkeit im Insolvenzplan vorgesehen ist, ohne dass im Plan bereits konkret dargelegt werden muss, in welcher Art und Weise die Fortsetzung der Gesellschaft erfolgen soll. Allerdings darf mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens unter die Gesellschaft noch nicht begonnen worden sein.
Häufig bedarf es zur Sanierung eines umfangreichen Abbaus der Belegschaft und damit einer Massenentlassungsanzeige. Diese ist bei der für den Betriebssitz örtlich zuständigen Agentur für Arbeit zu erstatten. Geht die Anzeige dort vor Zugang der Kündigung nicht ein, ist die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft und die auf sie bezogene Kündigung unwirksam (BAG, Urteil vom 13.02.2020, AZ: 6 AZR 146/19, Rn. 72 ff.). Das Gleiche gilt, sofern die Anzeige in Folge der Verkennung des Betriebsbegriffs objektiv unrichtige „Muss-Angaben“ enthält. Der Begriff „Betrieb“ im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie (EGRL 59/98) ist dahin auszulegen, dass er nach Maßgabe der Umstände die Einheit bezeichnet, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören. Es muss sich um eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität handeln, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmer sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Die fragliche Einheit muss weder rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen, um als „Betrieb“ qualifiziert werden zu können.
Der Betrieb i. S. d. EGRL 59/98 muss darum auch keine Leitung haben, die selbstständig Massenentlassungen vornehmen kann. Vielmehr reicht es aus, wenn eine Leitung besteht, die die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Kontrolle des Gesamtbetriebs der Einrichtungen der Einheit sowie die Lösung technischer Probleme im Sinne einer Aufgabenkoordinierung sicherstellt (BAG, a.a.O, Rn. 33, 49, 55).
Auch ein auf eine wirtschaftliche Notlage gestützter (Teil-)Widerruf einer unverfallbaren Anwartschaft auf eine Versorgungszusage kann zur Sanierung notwendig sein. Einen solchen hat jedoch das LAG Rheinland-Pfalz als unwirksam angesehen; seit der Neufassung der Regeln über den gesetzlichen Insolvenzschutz in § 7 Abs. 1 BetrAVG zum 01.01.1999 sei ein Widerruf von insolvenzgeschützten Versorgungsansprüchen und unverfallbaren Anwartschaften wegen wirtschaftlicher Notlage nicht mehr zulässig (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.01.2020, AZ: 6 Sa 181/19, Rn. 44; die Nichtzulassungsbeschwerde wurde BAG mit Beschluss vom 24.06.2020, AZ: 3 AZN 448/20 verworfen). Nur die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Eintritt des Sicherungsfalls erdienten Anwartschaften gehen gemäß § 9 Abs. 2 i. V. m. § 7 Abs. 2 BetrAVG auf den PSV als Träger der Insolvenzsicherung über, während der Arbeitgeber für die Anwartschaften, welche der Arbeitnehmer danach erdient, weiterhin haftet. Es bleibt daher nur die Möglichkeit, diesen Teil der Versorgungszusage durch eine Betriebsvereinbarung zu ändern (BAG, Urteil vom 10.03.2015, AZ: 3 AZR 56/14, Rn. 33). Dabei ist das vom BAG entwickelte dreistufige Prüfungsschema zu beachten (BAG, Urteil vom 17.04.1985, AZ: 3 AZR 72/83, unter B II 3 c).
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