Familienrecht - Kindesunterhalt bei überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen
Hintergrund
Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt. Die am 21.06.2011 geborene Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners und dessen geschiedener Ehefrau. Die im Jahr 2010 geschlossene Ehe des Antragsgegners mit der Kindesmutter wurde im Februar 2014 rechtskräftig geschieden. Die Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt. Die Antragstellerin ist Schülerin und lebt in der Obhut der Kindesmutter, die für die gemeinsame Wohnung monatliche Ausgaben in Höhe von ca. € 2.100,00 hat. Der Antragsgegner hat sich hinsichtlich des Kindesunterhalts für unbegrenzt leistungsfähig erklärt.
Eine im Juni 2013 geschlossene Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung enthielt unter anderem eine bis zum 30.06.2019 befristete Regelung zum mit dem Ehegattenunterhalt zusammengefassten Kindesunterhalt. Für die Zeit ab Juli 2019 verpflichtete sich der Antragsgegner durch notarielle Urkunde vom 08.11.2018 zur Zahlung von 160 % des Mindestunterhalts der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle entsprechend der jeweiligen Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergeldes.
Die Antragstellerin hat nach Abschluss der Auskunftsstufe eines Stufenverfahrens erstinstanzlich beantragt, den Antragsgegner unter Abänderung der notariellen Unterhaltsverpflichtung zu verpflichten, zu Händen ihres gesetzlichen Vertreters ab dem 01.07.2019 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von € 4.500,00 zu zahlen.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 19.04.2021 zunächst beantragt, den Leistungsantrag der Antragstellerin insoweit abzuweisen, als er verpflichtet werden sollte, an die Antragstellerin einen monatlichen Kindesunterhalt zu zahlen, der über 272 % des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle hinausgeht und ausgeführt, dass der Bedarf der Antragstellerin grundsätzlich mit dem Tabellenunterhalt von 272 % der Düsseldorfer Tabelle abgedeckt und ein etwaiger berechtigter Mehrbedarf für das Hobby Reiten nicht schlüssig dargelegt worden sei. Weiter hat der Antragsgegner, der für die Zeit von Juli 2019 bis März 2022 einen Kindesunterhaltsbetrag in Höhe von € 87.253,99 bezahlt hat, mit einem Wiederantrag beantragt, die Antragstellerin zu verpflichten, den seit 01.07.2019 von ihm bezahlten, über 272 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle hinausgehenden Betrag, hilfsweise den über den in diesem Verfahren rechtskräftig festgestellten Unterhalt hinausgehenden Betrag an ihn zurückzuzahlen.
Mit Schriftsatz vom 23.06.2021 hat er diese Anträge dahin abgeändert, dass Kindesunterhalt nur in Höhe eines Betrages von 200 % des Mindestunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle geschuldet werde, dieser Prozentsatz auch auf das Rückzahlungsbegehren zu beziehen sei.
Das Amtsgericht hat den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin ab dem 01.07.2019 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von € 2.259,49 zu zahlen. Auf den Wiederantrag des Antragsgegners hat das Amtsgericht die Antragstellerin verpflichtet, an ihn € 6.095,94 zu zahlen.
Beschwerde
Gegen diesen Beschluss haben sowohl Antragstellerin als auch der Antragsgegner Beschwerde eingereicht. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde der Antragstellerin in vollem Umfang zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Antragsgegner hat es den Beschluss des Amtsgerichts teilweise abgeändert und den Antragsgegner dazu verpflichtet, an die Antragstellerin ab dem 01.04.2020 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von € 1.808,37 zu bezahlen. Auf den Wiederantrag des Antragsgegners hat es die Antragstellerin verpflichtet, an den Antragsgegner für einen Zeitraum vom 01.07.2019 bis einschließlich März 2022 überzahlten Kindesunterhalt in Höhe von insgesamt € 18.076,54 zurückzuzahlen.
Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts haben die Antragstellerin die zugelassene Rechtsbeschwerde und der Antragsgegner Anschlussrechtsbeschwerde eingelegt.
Rechtsbeschwerde begründet
Das Beschwerdegericht befand die zulässige Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und die Anschlussrechtsbeschwerde des Antragsgegners als begründet.
Nach § 1610 Abs. 1 BGB bemisst sich das Maß des zu gewährenden Unterhalts nach der Lebensstellung des Bedürftigen, die sich bei minderjährigen Kindern bis zum Abschluss ihrer Ausbildung von den Eltern ableitet. Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des Senats beim Unterhalt minderjähriger Kinder auf die Lebensstellung beider Eltern an. Die Unterhaltspflicht ist aber auf den Betrag begrenzt, den der barunterhaltspflichtige Elternteil aufgrund des von ihm erzielten Einkommens zahlen muss. Es entspricht vom Senat gebilligter Praxis, sich bei der Bemessung des in diesem Sinne angemessenen Unterhalts an den von den Oberlandesgerichten entwickelten Tabellenwerken zu orientieren.
Wirtschaftliche Situation der Eltern maßgebend
Bei höherem Elterneinkommen muss sichergestellt bleiben, dass Kinder in einer ihrem Alter entsprechenden Weise an einer Lebensführung teilhaben, die der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern entspricht, sodass der Kindesunterhalt auch bei einem den höchsten Einkommensbetrag der Düsseldorfer Tabelle übersteigenden Elterneinkommen im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltsberechtigten für seinen Unterhaltsbedarf nicht faktisch auf den für die höchste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle geltenden Richtsatz festgeschrieben werden darf.
Eine allgemein gültige feste Obergrenze besteht für den Kindesunterhalt weiterhin nicht. Vielmehr bleibt dem unterhaltsberechtigten Kind die Darlegung eines höheren Bedarfs unbenommen. Allerdings ist insbesondere beim Unterhalt minderjähriger Kinder zu beachten, dass dieser keine bloße Teilhabe am Luxus der Eltern beinhaltet und naturgemäß erst recht nicht zur Vermögensbildung des unterhaltsberechtigten Kindes dient. Schließlich ist das Maß des den Kindern zu gewährenden Unterhalts auch maßgeblich durch das Kindsein geprägt, berechtigt also insbesondere nicht zu einer gleichen Teilhabe am Elterneinkommen. Welche Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten danach unterhaltsrechtlich relevant sind und welche Wünsche des Unterhaltsberechtigten als bloße Teilhabe am Luxus nicht erfüllt werden müssen, kann nur unter Würdigung der besonderen Verhältnisse der jeweiligen Beteiligten namentlich auch einer Gewöhnung des Unterhaltsberechtigten ein von seinen Eltern während des Zusammenlebens gepflegten aufwändigen Lebensstil festgestellt werden.
Ob und in welcher Höhe ein vom Unterhaltsberechtigten geltend gemachter erhöhter Regelbedarf oder ein Mehrbedarf angemessen ist, obliegt der tatrichterlichen Würdigung. Bei der Bemessung des erhöhten Regelbedarfs ist das Gericht nicht gehindert, den zur Bedarfsdeckung erforderlichen Betrag unter Heranziehung des Mehrbetrags zu berechnen, der sich aus der Gegenüberstellung solcher besonderer Bedürfnisse mit bereits von den Richtwerten der Düsseldorfer Tabelle erfassten Grundbedürfnissen ergibt und unter Zuhilfenahme allgemeinen Erfahrungswissen nach Maßgabe des § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 287 ZPO zu bestimmen.
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