Arbeitsrecht/Sportrecht- Messi und die Ausstiegsklausel

Arbeitsrecht/Sportrecht- Messi und die Ausstiegsklausel

 

Auch wenn sich Lionel Messi, der aktuelle Weltfußballer in Diensten des FC Barcelona, mittlerweile dazu entschieden hat, seinem Verein treu zu bleiben, so haben seine Wechselankündigungen in den letzten Wochen für Aufsehen gesorgt. Die Medien berichteten von Ausstiegsklauseln in Millionenhöhe und Sonderkündigungsrechten, die dem Kicker ein frühzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsvertrag mit dem FC Barcelona ermöglichen könnten. Der nach spanischem Recht zu beurteilende Fall ist so auch in Deutschland denkbar. Viele Spielerverträge enthalten spezielle Ausstiegsklauseln oder Kündigungsrechte. Wir haben uns den Fall Messi heute zum Anlass genommen, um zu beleuchten, wie derartige Konstellationen im deutschen Recht zu lösen sind.

Befristeter Arbeitsvertrag

Spielerverträge zwischen Vereinen und Spielern sind stets befristet. Aufgrund der Befristung des Arbeitsvertrages, hat ein Spieler kein ordentliches Kündigungsrecht. Da Lionel Messi aktuell noch einen gültigen Arbeitsvertrag bis zum 30.06.2021 hat, konnte er grundsätzlich nur aus dem Vertrag herauskommen, wenn der FC Barcelona hiermit einverstanden gewesen wäre. So hätte der Verein Messi einvernehmlich per Aufhebungsvertrag aus seinem Arbeitsverhältnis entlassen können. Dies macht ein Verein aber in der Regel nur, wenn ein anderer Klub dazu bereit ist eine angemessene Transferentschädigung zu bezahlen. Der Marktwert von Messi beläuft sich derzeit auf 112 Millionen Euro. Nach Medienberichten enthält der Vertrag von Messi sowohl eine Ausstiegsklausel als auch ein Sonderkündigungsrecht.

Ausstiegsklausel

Bei der Ausstiegsklausel handelt es sich um eine Abrede, nach der der Spieler bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen das Recht hat, den Verein zu verlassen. Juristisch kann das als aufschiebend bedingte Zustimmung des Vereins zum Aufhebungsvertrag mit dem Spieler und dem Transfervertrag mit dem „Käufer“ gesehen werden. Im Fall von Lionel Messi legt die Ausstiegsklausel eine fixe Ablösesumme von 700 Millionen Euro fest. Selbst bei Messi wird sich wohl kein Verein finden lassen, der für den mittlerweile 33-jährigen diese astronomische Summe ausgibt.

Sonderkündigungsrecht

Allerdings enthält Messis Arbeitsvertrag auch ein Sonderkündigungsrecht nach Ablauf jeder Saison, wonach er den Verein ablösefrei verlassen kann. Dieses Sonderkündigungsrecht ist jedoch zeitlich befristet zum 10.06. jedes Jahres. Diese Frist war hier schon lange verstrichen. Allerdings war die Saison coronabedingt nicht zum 10.06.2020 beendet. Der Ligabetrieb in Spanien endete am 19.07.2020 und das letzte Spiel des FC Barcelona in dieser Saison, die traumatische 2:8 Niederlage gegen den FC Bayern München, fand sogar erst am 14.08.2020 statt. Interessant ist hier die Frage, was mit dem Sonderkündigungsrecht in Fällen wie diesen passiert.

Die Vereine und Spieler haben für die Saison 2019/2020 nicht damit gerechnet, dass die Coronapandemie den Ligabetrieb für mehrere Monate zum erliegen bringen wird. Demzufolge werden Spieler und Vereine auch keine Regelung für den Fall getroffen haben, dass zum vereinbarten Verfallsdatum die Saison 2019/2020 nicht beendet sein wird.

Vertragsauslegung

Im deutschen Arbeitsrecht hängt die Wirksamkeit der Verfallsklausel dann regelmäßig von einer ergänzenden Vertragsauslegung ab. Hierbei ist maßgeblich, was die Parteien vereinbart hätten, wenn sie Kenntnis von den eingetretenen Entwicklungen gehabt hätten. In diesem Fall spricht hier viel dafür, dass sich die Verfallsfrist über das ursprünglich vereinbarte Datum hinaus verlängert.

Ausstiegsoption für Spieler

Die Spieler haben naturgemäß ein großes Interesse an Ausstiegsoptionen. Durch Ausstiegsklauseln oder Sonderkündigungsrechte wird der Wechsel zu einem anderen Verein, der für den Spieler oft sportlich und/oder finanziell attraktiver ist, oft erst möglich, was der Fall Messi zeigt. Auf der anderen Seite hat der Spieler mit einer Ausstiegsoption einen Joker in der Hand, der sich positiv auf die Gehaltsverhandlungen mit dem aktuellen Klub auswirkt, wenn die Option nicht ausgeübt wird.

Fokussierung auf den Sport

Auch die Vereine haben in der Regel ein Interesse an einer Verschiebung der Verfallsfrist. Die im Profifußball existierenden Verfallsfristen zwischen Mitte Mai und Ende Juni beruhen darauf, dass die jeweilige Saison zu diesem Zeitpunkt in der Regel bereits beendet ist. Für den Klub ist eine Verschiebung der Verfallsfrist vorteilhaft, weil der Spieler sich während des laufenden Spielbetriebs voll auf die Ausübung seines Sports fokussiert und nicht durch Überlegungen und Spekulationen zu einem möglichen Wechsel abgelenkt ist. Zudem kann sich der Verein hierdurch noch länger überlegen, ob er den Spieler halten möchte oder nicht.

Verschiebung der Verfallsfrist

In einer Saison wie dieser, die weit über das übliche Saisonende im Juni angedauert hat, ist die Verschiebung der Verfallsfrist für beide Seiten die beste Option. Es spricht daher viel dafür, dass sich die Ausübungsfristen für Ausstiegsklauseln und Sonderkündigungsrechten im Profisport im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung verlängern, wenn die Saison unerwartet weit über die normale Laufzeit hinaus andauert. Auch die Anwälte von Lionel Messi haben vorgetragen, dass die Klausel verlängert werden müsse, weil die abgelaufene Saison aufgrund der Coronapandemie ebenfalls verlängert wurde. Dies wies der spanische Liga-Verband La Liga zwar zurück. Allerdings hätte Messi unserer Ansicht nach gute Chancen gehabt, sein Sonderkündigungsrecht gerichtlich durchzusetzen.

Der vorliegende Fall zeigt, dass Arbeitsrecht sowohl im Bereich des Profisports als auch im Breitensport eine große Rolle spielt. Sportrechtliche Sachverhalte sind häufig arbeitsrechtlicher oder gesellschaftsrechtlicher Natur. Gefragt sind neben der Kenntnis der verschiedenen Ausgangslagen im Profisport eine hohe Kompetenz in wirtschaftsrechtlichen Fragen. In unserer auf das Wirtschaftsrecht spezialisierten Kanzlei stehen wir Ihnen in vertragsrechtlichen, arbeitsrechtlichen, gesellschaftsrechtlichen und sportrechtlichen Fragen kompetent zur Seite.


Wichtige Entscheidung für die Geschäftsführerhaftung in der Insolvenz zur D&O-Versicherung

Wichtige Entscheidung für die Geschäftsführerhaftung in der Insolvenz zur D&O-Versicherung

Zu § 1 S. 1 VVG, § 64 Satz 1 GmbHG hat das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 26. Juni 2020 – 4 U 134/18 -, Juris, zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung und zum Versicherungsschutz bei Inanspruchnahme eines versicherten Geschäftsführers wegen rechtswidriger Zahlungen nach Insolvenzreife entschieden, dass eine Klausel in den Versicherungsbedingungen einer Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (D&O-Versicherung) „Versicherungsschutz umfasst die Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche und die Freistellung der versicherten Personen, (…) von berechtigten Schadensersatzverpflichtungen“ auszulegen ist, dass der Versicherungsschutz für Schadensersatz nicht den Ersatzanspruch einer insolvent gewordenen Gesellschaft gegen ihren versicherten Geschäftsführer nach § 64 GmbHG umfasst (Festhaltung OLG Düsseldorf, 20.07.2018, 4 U 93/16, Rn. 104, Rn. 105).

Wir empfehlen Ihnen als Geschäftsführer daher zur Haftungsvermeidung in der Insolvenz Ihre D&O-Versicherung zu prüfen und beraten Sie gerne zu insolvenzrechtlichen Fragestellungen.

Vereinbaren Sie einen persönlichen Beratungstermin mit unseren Fachanwälten für Insolvenzrecht.


Erhöhter Personalabbau in der Automobilindustrie bei Zulieferern – Ihre Rechte als Arbeitnehmer

Erhöhter Personalabbau in der Automobilindustrie bei Zulieferern – ihre Rechte als Arbeitnehmer

Infolge der Technologieumbrüche in der Automobilindustrie, weg von Verbrennungsmotoren hin zu elektro- und wasserstoffgetriebenen Fahrzeugen, sowie infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie, kommt es aktuell verstärkt zu Personalabbaumaßnahmen im Bereich der Automobilzuliefererindustrie, wie z. B. bei den Firmen Continental, ZF und Schaeffler.

Für von betriebsbedingten Kündigungen und gegebenenfalls Sozialplanmaßnahmen betroffene Arbeitnehmer gilt es, ihre berechtigten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sowie bestehende Pensionszusagen zu sichern und entweder ihre Versetzung, Kündigung oder Änderungskündigung erfolgreich anzugreifen und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verhindern oder aber im Zusammenhang mit einer Aufhebungs- oder Abwicklungsvereinbarung eine möglichst hohe Abfindung unter Berücksichtigung ihrer Betriebszugehörigkeitszeiten zu erzielen.

Der Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner unserer Kanzlei, Herr Rechtsanwalt Martin Eismann, leitet als Fachanwalt für Arbeitsrecht unser Referat Arbeitsrecht in Nürnberg.

Zu seinen Mandanten zählen Führungskräfte, leitende Angestellte und Arbeiternehmer sämtlicher Branchen.

Als Fachanwalt für Arbeitsrecht mit langjähriger Berufserfahrung liegen seine Kompetenzen insbesondere in der anwaltlichen Vertretung in Kündigungsschutzverfahren als auch in der außergerichtlichen einvernehmlichen Lösung von Arbeitsverhältnissen gegen erhebliche Abfindungszahlungen.

Mit seiner Kompetenz, seinem Verhandlungsgeschick sowie seinem Ehrgeiz und erheblichen Durchsetzungsvermögen erzielt er auf der Basis seiner profunden Spezialisierung als Fachanwalt für Arbeitsrecht für seine Mandanten sehr gute Ergebnisse.

Wenn Sie von Personalabbaumaßnahmen und Umstrukturierungen als Arbeitnehmer betroffen sind, oder fürchten betroffen zu sein, ergreifen Sie die Initiative, lassen Sie sich frühzeitig beraten und vereinbaren Sie ein einen persönlichen Termin zur Erstberatung mit unserem Experten, dem Fachanwalt für Arbeitsrecht Herrn Rechtsanwalt Martin Eismann.


Chance Eigenverwaltung

Chance Eigenverwaltung

Trotz der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zusätzlicher Liquiditätshilfen sind Sie als Unternehmer oder Geschäftsführer eines Unternehmens ggf. gezwungen, Insolvenzantrag zu stellen. Dabei bietet sich vor allem die Eigenverwaltung zur Überwindung der finanziellen und leistungswirtschaftlichen Probleme an. Gerade die Tatsache, dass die Umsatzausfälle unverschuldet sind, lässt die Bereitschaft der Gerichte zu einer Sanierung in Eigenverwaltung steigen. Es ist daher auch kein Zufall, dass es zunehmend gerichtliche Entscheidungen zur Eigenverwaltung gibt. 

So lässt der II. Senat des BGH (Beschluss vom 08.04.2020, AZ: II ZB 3/19) es für die Fortsetzung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG genügen, wenn die entsprechende Möglichkeit im Insolvenzplan vorgesehen ist, ohne dass im Plan bereits konkret dargelegt werden muss, in welcher Art und Weise die Fortsetzung der Gesellschaft erfolgen soll. Allerdings darf mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens unter die Gesellschaft noch nicht begonnen worden sein.

Häufig bedarf es zur Sanierung eines umfangreichen Abbaus der Belegschaft und damit einer Massenentlassungsanzeige. Diese ist bei der für den Betriebssitz örtlich zuständigen Agentur für Arbeit zu erstatten. Geht die Anzeige dort vor Zugang der Kündigung nicht ein, ist die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft und die auf sie bezogene Kündigung unwirksam (BAG, Urteil vom 13.02.2020, AZ: 6 AZR 146/19, Rn. 72 ff.). Das Gleiche gilt, sofern die Anzeige in Folge der Verkennung des Betriebsbegriffs objektiv unrichtige „Muss-Angaben“ enthält. Der Begriff „Betrieb“ im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie (EGRL 59/98) ist dahin auszulegen, dass er nach Maßgabe der Umstände die Einheit bezeichnet, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören. Es muss sich um eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität handeln, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmer sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Die fragliche Einheit muss weder rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen, um als „Betrieb“ qualifiziert werden zu können.

Der Betrieb i. S. d. EGRL 59/98 muss darum auch keine Leitung haben, die selbstständig Massenentlassungen vornehmen kann. Vielmehr reicht es aus, wenn eine Leitung besteht, die die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Kontrolle des Gesamtbetriebs der Einrichtungen der Einheit sowie die Lösung technischer Probleme im Sinne einer Aufgabenkoordinierung sicherstellt (BAG, a.a.O, Rn. 33, 49, 55).

Auch ein auf eine wirtschaftliche Notlage gestützter (Teil-)Widerruf einer unverfallbaren Anwartschaft auf eine Versorgungszusage kann zur Sanierung notwendig sein. Einen solchen hat jedoch das LAG Rheinland-Pfalz als unwirksam angesehen; seit der Neufassung der Regeln über den gesetzlichen Insolvenzschutz in § 7 Abs. 1 BetrAVG zum 01.01.1999 sei ein Widerruf von insolvenzgeschützten Versorgungsansprüchen und unverfallbaren Anwartschaften wegen wirtschaftlicher Notlage nicht mehr zulässig (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.01.2020, AZ: 6 Sa 181/19, Rn. 44; die Nichtzulassungsbeschwerde wurde BAG mit Beschluss vom 24.06.2020, AZ: 3 AZN 448/20 verworfen). Nur die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Eintritt des Sicherungsfalls erdienten Anwartschaften gehen gemäß § 9 Abs. 2 i. V. m. § 7 Abs. 2 BetrAVG auf den PSV als Träger der Insolvenzsicherung über, während der Arbeitgeber für die Anwartschaften, welche der Arbeitnehmer danach erdient, weiterhin haftet. Es bleibt daher nur die Möglichkeit, diesen Teil der Versorgungszusage durch eine Betriebsvereinbarung zu ändern (BAG, Urteil vom 10.03.2015, AZ: 3 AZR 56/14, Rn. 33). Dabei ist das vom BAG entwickelte dreistufige Prüfungsschema zu beachten (BAG, Urteil vom 17.04.1985, AZ: 3 AZR 72/83, unter B II 3 c).

Wir begleiten als Fachanwälte für Insolvenzrecht zahlreiche Insolvenzverfahren und beraten Sie als Unternehmer oder Geschäftsführer eines Unternehmens zu Eigenverwaltungen gemäß § 270 a InsO nach dem ESUG.


BGH zur Inhaltskontrolle von Scheidungsfolgenvereinbarungen

BGH zur Inhaltskontrolle von Scheidungsfolgenvereinbarungen

„Ein vollständiger Ausschluss des Versorgungsausgleichs kann auch bei den in einer Ehekrise oder im Zusammenhang mit einer bereits beabsichtigten Scheidung geschlossenen Eheverträgen nicht dem Verdikt der Sittenwidrigkeit unterworfen werden, wenn ein nach der gesetzlichen Regelung stattfindender Versorgungsausgleich von beiden Ehegatten nicht gewünscht wird, soweit dies mit dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs vereinbar ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn beide Ehegatten während der Ehezeit vollschichtig und von der Ehe unbeeinflusst berufstätig waren und jeder seine eigene Altersversorgung aufgebaut oder aufgestockt hat, wobei aber der eine Ehegatte aus nicht ehebedingten Gründen mehr Versorgungsanrechte erworben hat als der andere“.
BGH, Beschluss vom 27.5.2020 – XII ZB 447/19

Hintergrund 

Der BGH hat in einem Streit zweier bereits geschiedener Ehegatten darüber entschieden, ob der Versorgungsausgleich im Rahmen einer Scheidungsfolgenvereinbarung unter Umständen wirksam ausgeschlossen werden kann. Die im März 1960 geborene Antragstellerin und der im Juli 1939 geborene Antragsgegner heirateten im Oktober 1981. Aus ihrer Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Als sie sich schon in der Trennungsphase befanden, schlossen die Beteiligten am 19.7.1994 eine notarielle Vereinbarung. In Teil A dieser Urkunde übertrug die Antragstellerin ihre ideelle Miteigentumshälfte am gemeinsamen Hausgrundstück – gegen Übernahme der darauf lastenden Verbindlichkeiten – auf den Antragsgegner. Diese Übertragung erfolgte vor dem Hintergrund, dass der Kaufpreis für das Hausgrundstück aus dem Erlös gezahlt wurde, den der Antragsgegner durch den Verkauf seiner ererbten Immobilie erzielt hatte. Teil B der notariellen Urkunde enthielt einen Erbvertrag, in welchem der Antragsgegner als Erblasser im Wege des (Voraus-)Vermächtnisses den drei gemeinsamen Kindern der Beteiligten das Hausgrundstück zu jeweils einem Drittel zuwandte.

Das lebzeitige Verfügungsrecht des Antragsgegners nach § 2286 BGB wurde ausdrücklich nicht eingeschränkt. Neben einem wechselseitigen Pflichtteilsverzicht (Teil C der Urkunde) trafen die Beteiligten ferner eine Scheidungsfolgenvereinbarung, durch die sie für den Fall der Scheidung wechselseitig auf Zugewinn- und Versorgungsausgleichsansprüche sowie auf jegliche nacheheliche Unterhaltsansprüche verzichteten (Teil D der Urkunde). Nach der Geburt ihres dritten Kindes nahm die Antragstellerin im Jahr 1987 ihre frühere Tätigkeit in einer Kurklinik wieder auf, zunächst in Teilzeit und später (auch zum Zeitpunkt der Trennung) in Vollzeit. Zwei Jahre nach der Trennung reduzierte sie ihre Tätigkeit wegen der Betreuung der drei gemeinsamen Kinder auf sechs bis sechseinhalb Stunden täglich, bevor sie diese wegen finanzieller Schwierigkeiten des Arbeitgebers im Jahr 2000 aufgab. Nach einer einjährigen Phase der Arbeitslosigkeit absolvierte sie eine Ausbildung zur Fußpflegerin und Podologin. Diesen Beruf übte sie zunächst halbschichtig als Angestellte und seit dem Jahr 2006 vollschichtig in selbständiger Tätigkeit aus. Auf den im Oktober 1995 zugestellten Scheidungsantrag wurde die Ehe der Beteiligten im März 1996 rechtskräftig geschieden. Im Verhandlungsprotokoll stellte das AG fest: „Der Versorgungsausgleich ist durch notariellen Vertrag vom 19.7.1994 ausgeschlossen.“

Das Scheidungsurteil enthält weder im Tenor noch in den Gründen Ausführungen zum Versorgungsausgleich. Während der gesetzlichen Ehezeit von Oktober 1981 bis September 1995 (§ 3 Abs. 1 VersAusglG) hat die Antragstellerin ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ausgleichswert von 4,4738 Entgeltpunkten (zum Ende der Ehezeit entsprechend einer Monatsrente von € 105,75) sowie einem korrespondierenden Kapitalwert von € 21.686,53  und der Antragsgegner ein solches mit einem Ausgleichswert von 11,3730 Entgeltpunkten (zum Ende der Ehezeit entsprechend einer Monatsrente von € 268,82) sowie einem korrespondierenden Kapitalwert von € 55.130,07  erworben.

Eine als betriebliche Altersvorsorge abgeschlossene Direktversicherung (bei der Beteiligten zu 3) wurde dem Antragsgegner in einer Größenordnung von € 32.000 vertragsgemäß zum 1.6.2004 ausgezahlt. Nach der Ehescheidung teilte der Antragsgegner sein Hausgrundstück in zwei Wohneinheiten auf. Eine Wohnung veräußerte er an den Ehemann seiner Tochter aus seiner früheren Ehe; die andere Wohnung veräußerte er an seine jetzige Ehefrau. Seit August 2004 bezieht der Antragsgegner eine Regelaltersrente, die sich inzwischen auf rund € 1.500 monatlich beläuft. Das AG hat festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich bei der Scheidung nicht stattfindet. Das OLG wies die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin zurück. Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

 

BGH: Die in der Scheidungsfolgenvereinbarung enthaltene Abrede zum Versorgungsausgleich hält einer Wirksamkeitskontrolle am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB stand

Die gesetzlichen Regelungen über nachehelichen Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich unterliegen grundsätzlich der vertraglichen Disposition der Ehegatten. Diese darf allerdings nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Das wäre laut den Karlsruher Richtern dann der Fall, wenn dadurch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – unter angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Die Belastungen des einen Ehegatten werden dabei umso schwerer wiegen und die Belange des anderen Ehegatten umso genauerer Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.

 

Sittenwidrigkeit nur bei erheblichem Eingriff in Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts 

Das Verdikt der Sittenwidrigkeit wird dabei regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten, den von ihnen angestrebten oder gelebten Ehetyp oder durch sonstige gewichtige Belange des begünstigten Ehegatten gerechtfertigt wird. Diese Grundsätze gelten auch für Scheidungsfolgenvereinbarungen, die die Ehegatten im Hinblick auf eine Ehekrise oder eine bevorstehende Scheidung getroffen haben.

 

Verzicht auf Durchführung des Versorgungsausgleichs möglich

Der vereinbarte Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs stellt sich für die Antragstellerin zwar als nachteilig dar, führt jedoch für sich genommen noch nicht zur Sittenwidrigkeit der insoweit getroffenen Abrede.

 

Grundsatz: eheliche Solidarität

Allerdings hat der Senat den Versorgungsausgleich dem Kernbereich der Scheidungsfolgen zugeordnet und ausgesprochen, dass der Versorgungsausgleich als vorweggenommener Altersunterhalt einer vertraglichen Gestaltung nur begrenzt offensteht. Ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs ist nach § 138 Abs. 1 BGB schon für sich genommen unwirksam, wenn er dazu führt, dass ein Ehegatte aufgrund des bereits beim Vertragsschluss geplanten (oder zu diesem Zeitpunkt schon verwirklichten) Zuschnitts der Ehe über keine hinreichende Alterssicherung verfügt und dieses Ergebnis mit dem Gebot ehelicher Solidarität schlechthin unvereinbar erscheint.

 

Ausschluss Versorgungsausgleich möglich, wenn beide das wollen

Die richterliche Wirksamkeitskontrolle ist aber selbst im Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts keine Halbteilungskontrolle. So kann ein vollständiger Ausschluss des Versorgungsausgleichs auch bei den in einer Ehekrise oder im Zusammenhang mit einer bereits beabsichtigten Scheidung geschlossenen Eheverträgen nicht dem Verdikt der Sittenwidrigkeit unterworfen werden, wenn ein nach der gesetzlichen Regelung stattfindender Versorgungsausgleich von beiden Ehegatten nicht gewünscht wird, soweit dies mit dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs vereinbar ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn beide Ehegatten während der Ehezeit vollschichtig und von der Ehe unbeeinflusst berufstätig waren und jeder seine eigene Altersversorgung aufgebaut oder aufgestockt hat, wobei aber der eine Ehegatte aus nicht ehebedingten Gründen mehr Versorgungsanrechte erworben hat als der andere. Nach diesen Maßstäben erscheint im Streitfall der Ausschluss des Versorgungsausgleichs nicht als mit dem Gebot der ehelichen Solidarität schlechthin unvereinbar.

Die Entscheidung des BGH zeigt, dass auch wenn eine Scheidung einvernehmlich ist, die entsprechende Scheidungsfolgenvereinbarung einer Inhaltskontrolle durch das Gericht unterzogen werden kann. Dabei können Regelungen, die gegen die guten Sitten verstoßen, als unwirksam erklärt werden.

Es ist daher wichtig, dass man sich vorab über die Bedeutung und den Inhalt solcher Vereinbarungen einen Überblick verschafft. Im Folgenden beantworten wir die wichtigsten Fragen zu Scheidungsfolgenvereinbarungen:

 

Was ist eine Scheidungsfolgenvereinbarung?

Eine Scheidungsfolgenvereinbarung ist eine gegenseitige Vereinbarung zwischen Ehegatten, in der beide Ehepartner die Scheidungsfolgen regeln. Eine Scheidungsfolgenvereinbarung ist somit ein Ehevertrag, der während der Ehe bzw. im Zuge der Trennung geschlossen wird. Mithilfe dieser gemeinsamen Vereinbarung können die Ehepartner alle Fragen, die mit der konkret bevorstehenden Scheidung in Verbindung stehen, einvernehmlich regeln und so gerichtliche Auseinandersetzungen vermeiden.

 

Was kann in einer Scheidungsfolgenvereinbarung geregelt werden?

In einer solchen Vereinbarung kann man sich über vieles einigen, was ansonsten Gegenstand des gerichtlichen Scheidungsverfahrens wäre. So betreffen die üblichen Vereinbarungen meist Regelungen über das Sorgerecht, Unterhalt und Umgang mit den gemeinsamen Kindern, wer im bisherigen Haus/Wohnung weiter bleiben kann oder über nachehelichen Unterhalt. Des Weiteren können auch der Versorgungsausgleich bzw. ein Verzicht hierauf vereinbart werden.

 

Wo liegt der Unterschied zur Trennungsvereinbarung? 

Entgegen einer Scheidungsfolgenvereinbarung kann eine Trennungsvereinbarung auch ohne konkrete Scheidungsabsicht erstellt werden. Mit einer Trennungsvereinbarung können Sie die Folgen einer Trennung regeln, auch wenn Sie sich nicht scheiden lassen wollen. Die Regelungen in beiden Vereinbarungen sind nahezu identisch, allerdings finden sich in der Trennungsvereinbarung keine Festlegungen zum Versorgungsausgleich oder zum nachehelichen Unterhalt.

 

Vorteile der Vereinbarung

Eine Scheidungsfolgenvereinbarung führt in der Regel zu einer schnelleren und günstigeren Scheidung. Stellt ein Ehegatte bei Gericht den Antrag, über weitere Scheidungsfolgesachen mitzuentscheiden, muss der Richter die Scheidung zurückstellen, bis er auch über die Folgesachen entscheiden kann. Jede Folgesache verlängert und verteuert das Scheidungsverfahren. Existiert eine einvernehmliche Scheidungsvereinbarung, entscheidet das Familiengericht nur über die Ehescheidung und ggf. den Versorgungsausgleich, insofern dieser nicht durch den Ehevertrag ausgeschlossen ist, während die weiteren Scheidungsfolgen bereits außergerichtlich geregelt sind. Im Vergleich zu einer streitigen Scheidung sind die Kosten für eine Scheidungsfolgenvereinbarung inklusive der Notarkosten erheblich geringer.

 

Muss man zum Notar?

Eine Scheidungsfolgenvereinbarung ist grundsätzlich formfrei und bedarf nicht der notariellen Beurkundung. Ausnahmen hiervon sind bspw. Fälle, in denen ein gemeinsames Testament aufgehoben werden soll, wenn es um nachehelichen Unterhalt, um Zugewinnausgleich oder eben Versorgungsausgleich geht. Hier ist es wichtig zu wissen, wann eine notarielle Beurkundung notwendig wird. Eine formbedürftige Scheidungsvereinbarung, die nicht notariell beurkundet ist, ist im Streitfall nichtig.

Scheidungsfolgenvereinbarungen entfalten in der Regel weitreichende Bindungswirkungen und können im Nachhinein nicht mehr so einfach abgeändert werden. Daher sollten Sie sich frühzeitig fachkundigen Rat suchen. Als auf das Familienrecht spezialisierte Kanzlei haben wir viel Erfahrung in den Bereichen Ehe, Scheidung und Folgenvereinbarung. Gerne beraten wir Sie zu den konkreten Gestaltungsmöglichkeiten in Ihrem Fall und erstellen für Sie wirksame Scheidungsfolgenvereinbarungen.


BGH zur Insolvenzfestigkeit der Altersvorsorge – Insolvenzschutz bei Statuswechsel

BGH zur Insolvenzfestigkeit der Altersvorsorge – Insolvenzschutz bei Statuswechsel

1. „Bei einem Statuswechsel zwischen Arbeitnehmereigenschaft und Unternehmereigenschaft richtet sich der Insolvenzschutz des Betriebsrentengesetzes und damit auch die versorgungsausgleichs-rechtliche Einordnung des Anrechts danach, inwieweit die versprochene Versorgung zeitanteilig auf den jeweils eingenommenen Status entfällt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 16. Januar 2014 BGH Aktenzeichen XIIZB45513 XII ZB 455/13 FamRZ 2014, FAMRZ Jahr 2014 Seite 731)“.

2. „Das Pfandrecht des ausgleichspflichtigen Ehegatten an den Rechten aus einer Rückdeckungs-versicherung ist anteilig dem ausgleichsberechtigten Ehegatten zuzuordnen, und zwar im Umfang des zum Ehezeitende bestehenden Deckungsgrads am Ehezeitanteil“ (BGH, Beschluss vom 15.07.2020 – XII ZB 363/19).

Hintergrund

Grundsätzlich können Versorgungsanwartschaften nur durch Zeiten als Arbeitnehmer und nicht durch solche als Unternehmer erworben werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) teilt diese Auffassung. Ist eine Person zeitweilig als Unternehmer, im Übrigen aber als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person (§ 17 BetrAVG) für ein Unternehmen tätig, kann eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 7 Abs. 2, § 1 b Abs. 1, § 30f Abs. 1 BetrAVG nur entstehen, wenn die Unverfallbarkeitsfristen insgesamt in Tätigkeitsperioden erfüllt werden, in denen der Betroffene in den Anwendungsbereich des § 17 BetrAVG fällt. Dies bedeutet bei einem Statuswechsel, dass für die Berechnung Zeiten, in denen der Betroffene als Unternehmer tätig war, weder für die Dauer der Versorgungszusage noch als Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen sind.

Personen, die selbst Unternehmer sind, sollen den Schutz des BetrAVG nicht genießen. Dieser bei der Ausformung des Geltungsbereichs des § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG entwickelte allgemeine Grundgedanke gilt für die Bestimmung berücksichtigungsfähiger Zeiten bei der Berechnung der Versorgungsanwartschaft in gleicher Weise. Wollte man dies anders sehen, hätte das zur Folge, dass eine Person, die nur wenige Monate Arbeitnehmer und anschließend bis zum Erreichen der in § 30 f Abs. 1 BetrAVG festgelegten Fristen Unternehmer gewesen ist, besser gestellt wäre, als derjenige, der kurz vor Fristerreichung als Arbeitnehmer aus dem Unternehmen ausscheidet (vgl. BGH, Beschluss vom 24.09.2013 – II ZR 396/12).

 

Insolvenzfestigkeit der Altersvorsorge

In dem Fall, den der BGH kürzlich zu entscheiden hatte, ging es um die Regelung des Versorgungsausgleichs bzw. die Ausgleichsfähigkeit von Versorgungsanrechten im Rahmen einer Scheidung. Das Familiengericht führte einen Versorgungsausgleich zugunsten der Ehefrau durch, gegen den der Ehemann Beschwerde eingelegt hat. Es geht hier im Kern um die Frage, ob ein Anrecht dem Betriebsrentengesetz unterfällt, an welches sich die Vorschriften des Versorgungsausgleichs anknüpfen oder ob diese Vorschriften nicht anwendbar sind, da das Anrecht als Selbstständiger erworben wurde.

Während der 15-jährigen Ehezeit (März 1999 bis Juli 2014) hat die Ehefrau ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ehezeitanteil von 8,9964 Entgeltpunkten sowie ein Anrecht in der berufsständischen Versorgung mit einem Ehezeitanteil von €°215,85 monatlich erworben. Der Ehemann hat als Gesellschafter-Geschäftsführer der K. GmbH ein endgehaltbezogenes Anrecht erworben, dessen Kapitalwert zum Ende der Ehezeit € 1.171.114,12 betrug. Der Ehezeitanteil dieses Anrechts beträgt € 525.947,35 mit einem nach Abzug von Teilungskosten vorgeschlagenen Ausgleichswert von €. 262.723,68 Für das Anrecht bestehen drei Rückdeckungsversicherungen bei der A. Lebensversicherung AG. Die Ansprüche daraus wurden an den Ehemann verpfändet; das Kündigungsrecht wurde an ihn abgetreten. Der Rückkaufswert der Versicherung mit der Endziffer -001 betrug zum 1. Januar 2015: € 87.551,50, der Versicherung mit der Endziffer -002: € 178.537,15 und der Endziffer -003: € 74.406. Im Zeitpunkt der Begründung der Versorgungszusage hielt der Ehemann einen Geschäftsanteil von 20% des Stammkapitals der GmbH ohne Stimmrecht, seit 1. Januar 2013 einen Geschäftsanteil von 49% mit einem Stimmrecht von 20%. Vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ BGB § 181 BGB) ist er nicht befreit. Die weiteren Geschäftsanteile an der GmbH halten sein Bruder (zuletzt 49% des Stammkapitals bei 32% Stimmenanteil) und sein Vater (zuletzt 2% des Stammkapitals bei 48% Stimmenanteil).

 

Familiengericht hält Anrechte für ausgleichsfähig

Das Familiengericht hat in dem Verbundverfahren die ehezeitlichen Anrechte der Ehefrau intern geteilt. Den Ehezeitanteil des Anrechts des Ehemanns hat es ebenfalls intern geteilt, und zwar „nach Maßgabe der Versorgungszusagen vom 18.12.1997 mit Nachtrag vom 27.12.2005 sowie der Verpfändungsvereinbarung vom 28.01.1998 sowie den Nachträgen zur Verpfändungsvereinbarung vom 28.01.1998 und 19.06.2000 zwischen der K. GmbH und dem Antragsteller bestehenden Pfand- und Sicherungsrechte“. Weiter hat es angeordnet, dass in Höhe des Ausgleichswerts das bei der A. Lebensversicherung AG als Trägerin der Rückdeckungsversicherungen bestehende Deckungskapital aus den Vers.- Nrn. …-001, …-002 und …-003 dem auf die Antragsgegnerin übertragenen Anrecht zugeordnet wird. Wegen des noch verfallbaren Teils der endgehaltsbezogenen Altersversorgung hat es den Wertausgleich nach der Scheidung vorbehalten.

Das Familiengericht hat also das Anrecht des Ehemannes intern geteilt, da er bei Begründung des Anrechts Arbeitnehmer und kein Unternehmer gewesen ist.

 

Ehemann und K. GmbH gegen Ausgleichsfähigkeit des Anrechts

Gegen die Entscheidung zum Versorgungsausgleich haben der Ehemann und die K. GmbH Beschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen die Absicherung des zu übertragenden Ausgleichswerts durch Zuordnung von Deckungskapital aus der Rückdeckungsversicherung wenden. Das Oberlandesgericht hat die Beschlussformel – unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerden – neu gefasst und das betriebliche Anrecht des Ehemanns „nach Maßgabe der Versorgungszusagen der K. GmbH vom 18.12.1997 mit Nachtrag vom7.12.2005 sowie der Verpfändungsvereinbarungen vom 28.01.1998 und vom 19.06.2000 in Verbindung mit den Abtretungserklärungen über das Kündigungsrecht vom 26.10.2012 und dem Beschluss über die Durchführung eines Versorgungsausgleichs der K. GmbH vom 11.11.2014“ intern geteilt. Weiter hat es angeordnet, dass das bei der A. Lebensversicherung AG unter den Vers.- Nrn. …-001, …-002 und …-003 bestehende Deckungskapital in Höhe von € 145.122,93  der Antragsgegnerin zugeordnet wird, wobei 25,72% hiervon auf die Versicherung mit der Endziffer -001 entfallen, 52,43% auf die mit der Endziffer -002 und 21,85% auf die mit der Endziffer -003.

 

OLG hält Anrecht für teilbar, da Ehemann im Zeitpunkt der Begründung Arbeitnehmer gewesen ist

Das Anrecht sei in der vom Versorgungsträger vorgeschlagenen Bezugsgröße Kapitalwert zu teilen, da der Ehemann im Zeitpunkt der Begründung des Anrechts kein Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung innegehabt habe und deshalb als Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsrentengesetzes zu qualifizieren sei. Zwar sei er seit der Übertragung von Stimmrechten auf ihn mit Wirkung vom 1. Januar 2013 nicht mehr als Arbeitnehmer, sondern als Unternehmer zu qualifizieren. Die das Wahlrecht des Versorgungsträgers eröffnende Vorschrift des § 45 VersAusglG gelte jedoch auch für in Unternehmerstellung erdiente Anrechte, wenn sie in einem bestimmten Durchführungsweg des Betriebsrentengesetzes eingerichtet und dem Grunde und der Höhe nach hinreichend verfestigt seien.

 

BGH: Entscheidend für die Ausgleichsfähigkeit des Anrechts ist, ob es in Unternehmereigenschaft oder Arbeitnehmereigenschaft erworben wurde

Laut den Karlsruher Richtern hängt die Ausgleichsfähigkeit ebenso wie die Bewertung des in Rede stehenden Anrechts maßgeblich davon ab, inwieweit es in Unternehmereigenschaft oder in Arbeitnehmereigenschaft erworben worden ist. Nur in letzterem Fall handelt es sich nämlich um ein Anrecht nach dem Betriebsrentengesetz (vgl. § 17 Abs. 1 BetrAVG), woran die Vorschriften der §§ 2 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 und § 45 VersAusglG anknüpfen. Bei einem Statuswechsel zwischen Arbeitnehmereigenschaft und Unternehmereigenschaft richten sich der Insolvenzschutz des Betriebsrentengesetzes und damit auch die versorgungsausgleichsrechtliche Einordnung des Anrechts danach, inwieweit die versprochene Versorgung zeitanteilig auf den jeweils eingenommenen Status entfällt (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Januar 2014 – BGH Aktenzeichen XIIZB45513 XII ZB 455/13 – FamRZ 2014).

Für die Zeit bis zum 31. Dezember 2012, in der der Vater des Ehemanns allein über die absolute Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung verfügte, ist von einer Arbeitnehmereigenschaft des Ehemanns auszugehen. Dementsprechend unterfiel das in dieser Zeit erworbene Anrecht der Bewertungsregel des § 45 VersAusglG. Am 1. Januar 2013 hat der Ehemann einen Statuswechsel vollzogen und sein Anrecht seither in Unternehmereigenschaft ausgebaut. Denn ab diesem Zeitpunkt gehörte der Ehemann nicht mehr zum Kreis der Versorgungsberechtigten, die unter das Betriebsrentengesetz fallen. Zwar ist die betriebliche Altersversorgung nicht nur auf den Kreis der Arbeitnehmer beschränkt, für die die Bestimmungen des Betriebsrentengesetzes in erster Linie gelten (§ 17 S. 1 BetrAVG). Vielmehr gelten nach Satz 2 dieser Vorschrift die §§ 1 bis 16 entsprechend auch für andere Personen, wenn ihnen Versorgungsleistungen aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt worden sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die ihrem Wortlaut nach zu weit reichende Bestimmung des § 17 S. 1 BetrAVG nach dem Grundcharakter des Betriebsrentengesetzes als eines hauptsächlich dem Schutz von Arbeitnehmern dienenden Gesetzes einschränkend dahin auszulegen, dass die Geltung der genannten Vorschriften auf Personen begrenzt bleibt, deren Lage im Falle einer Pensionsvereinbarung mit der eines Arbeitnehmers annähernd vergleichbar ist. Zwar fallen Organpersonen rechtsfähiger Gesellschaften nicht ohne Weiteres aus dem Geltungsbereich des Betriebsrentengesetzes heraus. Das Gesetz ist aber nicht anzuwenden auf Gesellschafter-Geschäftsführer, die allein oder zusammen mit anderen Gesellschafter-Geschäftsführern eine Beteiligungsmehrheit halten und nach deren Verkehrsanschauung ihr eigenes Unternehmen leiten.

 

Das dem Insolvenzschutz dienende Pfandrecht ist anteilig Ehefrau zuzuordnen

Nach der Regelung des § 11 VersAusglG nach der für die ausgleichsberechtigte Person ein entsprechend gesichertes Anrecht übertragen wird, müssen grundsätzlich alle bestehenden Sicherheiten anteilig auch für das zu übertragende Recht begründet werden. Das betrifft im vorliegenden Fall auch das den Insolvenzschutz flankierende Pfandrecht des Ehemanns an den Ansprüchen der Beteiligten GmbH aus der Rückdeckungsversicherung. Dieses Pfandrecht ist anteilig der Ehefrau zwecks Besicherung ihres durch den Versorgungsausgleich erworbenen Anrechts zuzuordnen, und zwar in einem Verhältnis, das dem Quotienten zwischen dem Ausgleichswert und dem gesamten Wert des Anrechts entspricht. Der nach § 11 VersAusglG zu übertragende Insolvenzschutz besteht nur in dem Umfang, in dem ein den Ehezeitanteil besicherndes Deckungskapital im Zeitpunkt des Ehezeitendes tatsächlich gebildet war. Die Bewertungsregel des § 5 Abs. 2 S. 2 VersAusglG , wonach rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit, die auf den Ehezeitanteil zurückwirken, zu berücksichtigen sind, kommt hier nicht zum Tragen, weil das Pfandrecht an der Rückdeckungsversicherung keinen nach dieser Vorschrift zu bewertenden Teilungsgegenstand des Versorgungsausgleichs darstellt.

Bei einem Statuswechsel zwischen Unternehmereigenschaft und Arbeitnehmereigenschaft richtet sich die Einbeziehung der betrieblichen Altersversorgung in den Versorgungsausgleich danach, inwieweit die versprochene Versorgung zeitanteilig auf die Tätigkeit als Arbeitnehmer entfällt. Oft ist es nicht ganz einfach den Statuswechsel frühzeitig zu erkennen bzw. abzuschätzen, welche Folgen dies für die spätere Altersvorsorge haben kann. Lassen Sie sich daher frühzeitig beraten. Als auf das Familien-, Arbeits- und Insolvenzrecht spezialisierte Kanzlei stehen wir Ihnen bei sämtlichen Fragen rund um das Thema Versorgungsanwartschaften kompetent zur Seite.


Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Bereits in unserem Blog vom Juni 2020 haben wir uns mit der Suspendierung der Insolvenzantragspflicht im Zuge der Corona-Pandemie beschäftigt und darauf hingewiesen, wie wichtig es ist frühzeitig die Weichen zwischen der Einleitung eines Insolvenzverfahrens ggf. in Eigenverwaltung oder Sanierung und Restrukturierung zu stellen und als Geschäftsführer zur Haftungsvermeidung die Insolvenzgründe laufend im Blick zu haben. Das Ende der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht war für den 30.09.2020 vorgesehen. Allerdings will Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) die Insolvenzantragspflicht noch bis Ende März 2021 aussetzen. Die verlängerte Aussetzung soll allerdings nur für Unternehmen gelten, die überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind. Auch aus der Union kommt Zustimmung zu dem Vorschlag, die Pflicht zum Insolvenzantrag wegen der Corona-Pandemie länger als geplant auszusetzen.

Grundsatz: Unverzügliche Antragstellung

Bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist grundsätzlich unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Höchstfrist von drei Wochen ein Insolvenzantrag zu stellen. Erfolgt dies nicht, kann die Geschäftsführung in einem späteren Insolvenzverfahren persönlich in Haftung genommen werden, was oft zum Vermögensverfall des Geschäftsführers führt. Auch strafrechtliche Ermittlungen und Verurteilungen wegen Bankrottdelikten im Falle einer Insolvenzverschleppung sind regelmäßige Folge einer verspäteten oder unterlassenen Antragstellung. Beachten sollte man auch, dass die vorgenannten Ansprüche im Falle einer Insolvenz „rückwirkend“ geltend gemacht werden können, also für eine unterlassene Antragstellung, die regelmäßig mehrere Jahre zurückliegt. Dies gilt es jedoch frühzeitig durch Überwachung des Vorliegens der Insolvenzgründe zu verhindern.

Der jetzige Vorschlag der Bundesjustizministerin unterscheidet zwischen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Die verlängerte Aussetzung soll demnach nur für Unternehmen gelten, die überschuldet aber nicht zahlungsunfähig sind.

 

Zahlungsunfähigkeit

Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 InsO). Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/2004, ZinsO 2005/807 – 810). Sofern die Gemeinschuldnerin ihre Zahlungen bereits eingestellt hat, wird die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gesetzlich vermutet.

 

Überschuldung

Eine Überschuldung liegt gemäß §°19 Abs. 2 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen für die gemäß § 39 Abs. 2 InsO zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 InsO bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen. Nachdem nunmehr dauerhaft anwendbaren zweistufigen Überschuldungsbegriff kann eine Überschuldung erst angenommen werden, wenn das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten unter Einbeziehung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig – damit ist das laufende und das nächste Geschäftsjahr gemeint – nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (BGH, Urteil vom 15.03.2011 – II ZR 204/09, WM 2011 Seite 979 Rn. 30 ff.).

Der Vorschlag der Bundesjustizministerin sieht also eine Differenzierung zwischen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vor. Ist ein Unternehmen noch nicht zahlungsunfähig, sondern nur überschuldet, soll es von der Insolvenzantragspflicht befreit werden. So soll insbesondere verhindert, werden, dass bereits zahlungsunfähige Unternehmen noch weiter mitgeschleppt werden und den Geschäftsverkehr schädigen.

 

Handeln Sie rechtzeitig!

Die Geschäftsführer von Unternehmen in der Krise sollten bereits jetzt frühzeitig laufend die Liquiditätsentwicklung im Rahmen einer wochengenauen Liquiditätsprüfung überwachen und Sanierungsoptionen prüfen. Bei absehbaren oder bereits eingetretenen Liquiditätsengpässen ist derzeit die Prüfung von kurzfristigen Finanzierungsmaßnahmen, z.B. Steuerstundungen, Stundung von Verbindlichkeiten (Miete, Kredite, Leasing), Entlastung von Lohnzahlungen oder die Inanspruchnahme von staatlichen Hilfen auf Bundes und Landesebene (u.a. direkte Zuschüsse und KfW-verbürgte Kredite) und die Beantragung von Kurzarbeitergeld zu prüfen.

Ist das Unternehmen bereits in der Krise stellt sich die Frage nach der richtigen Strategie. Neben der außergerichtlichen Sanierung und Restrukturierung des Unternehmens stellt auch die Insolvenz in Eigenverwaltung eine gute Option dar, sollten sich die Insolvenzgründe nicht kurzfristig beseitigen lassen.

Die Eigenverwaltung wurde vom Gesetzgeber im Jahr 2012 mit dem „Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) ins Leben gerufen. Es soll dem Schuldner, also Unternehmen, helfen, sich über ein Eigenverwaltungsverfahren aus eigener Kraft zu sanieren. Als Folge wird kein Insolvenzverwalter eingesetzt, sondern die Geschäftsführung leitet das Unternehmen weiter. Das Gericht stellt der Geschäftsführung, also dem Schuldner, zum Schutz der Gläubiger einen Sachwalter zur Seite. Die Insolvenz in Eigenverwaltung hilft insbesondere den Unternehmen, die trotz Zahlungsunfähigkeit eine gute Fortführungsperspektive haben. Trotzdem hat das Gericht die Pflicht, die Gläubiger zu schützen. Es wird somit genau prüfen, ob die Geschäftsführung in der Krise weiter „im Amt bleibt“ und es damit der Insolvenz in Eigenverwaltung zustimmt. Das Gelingen eines Insolvenzantrags mit dem Ziel der Eigenverwaltung setzt daher eine sorgfältige und rechtzeitige fachkundige Vorbereitung voraus. Aus Sicht des Insolvenzgerichts soll nicht ein engagierter Unternehmer sich zum „Zwangsvollstrecker in eigener Sache“ aufschwingen.

Unternehmen, die sich über ein Eigenverwaltungsverfahren sanieren möchten, sollten bereits vor dem Antrag einen Sanierungsberater, der im Idealfall auch als Insolvenzverwalter tätig ist, mit der Verfahrensbegleitung beauftragen. Es ist in der Regel auch sinnvoll, bereits in diesem frühen Verfahrensstadium einen Sanierungsplan als Grundlage für einen Insolvenzplan zu erstellen.

Als auf das Insolvenzrecht spezialisierte Kanzlei beraten wir Sie als Geschäftsführer oder Unternehmer gerne haftungsvermeidend zur Frage der Insolvenzantragspflicht und der ggf. gleichwohl bestehenden Weichenstellung zwischen Insolvenzverfahren ggf. in Eigenverwaltung oder außergerichtlicher Sanierung und Restrukturierung, Fortführung unter Neukreditierung bzw. Ermittlung eines Investors oder Liquidation.


Neue BGH- Urteile zum VW-Dieselskandal: Was heißt das für die Verbraucher?

Neue BGH- Urteile zum VW-Dieselskandal: Was heißt das für die Verbraucher?

 

Der BGH verhandelte am 30.07.2020 vier weitere Klagen im Dieselskandal gegen die Volkswagen AG. Hierbei wurde zum einen entschieden, dass Käufer eines abgasmanipulierten Dieselfahrzeuges, die ihn erst nach dem 15. September 2015 gekauft haben, keinen Anspruch auf Schadensersatz haben. Zum anderen erhält derjenige, der bereits sehr hohe Laufleistungen zurückgelegt hat, auch keinen Ersatz seines Schadens. Schließlich verweigert der BGH den Käufern einen Anspruch auf Deliktzinsen.

Der BGH hat am 30.07.2020 vier Entscheidungen getroffen und damit Rechtsklarheit in einigen strittigen Punkten geschaffen.

Erste Entscheidung des BGH am 25.05.2020

Die erste grundsätzliche Entscheidung hat der BGH am 25.05.2020 in Bezug auf den Kauf eines zwei Jahre alten Gebrauchtwagen VW Sharan im Januar 2014 getroffen. Das Fahrzeug verfügte über einen Dieselmotor der Baureihe EA 189, Schadstoffklasse Euro 5 mit der Manipulationssoftware, die auf dem Rollenprüfstand einen Abgasrückführungsmodus mit einem niedrigeren Stickstoffoxid-Ausstoß als im Normalbetrieb auf der Straße einleitet. Den Einbau dieser unzulässigen Abschalteinrichtung bewertete der BGH als arglistige Täuschung der Kunden durch VW und damit als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB. Entscheidend hierbei ist, dass der Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht bekannt gewesen ist.

VW wurde zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs verpflichtet (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: IV ZR 252/19).

Neu: Kein Schadensersatz für Käufe nach September 2015

In einem der nun entschiedenen Fällen hatte der Käufer sein Fahrzeug, einen VW Touran, in dem ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung bzw. eine manipulierte Software verbaut wurde, erst im August 2016 gekauft. Zu dieser Zeit war der Abgasskandal bereits in der Öffentlichkeit bekannt. VW hat am 22.09.2015 die Verwendung der manipulierten Software öffentlich eingeräumt, nachdem US-Umweltbehörden in ihrer „Notice of Violence“ diese Verfahrensweise von VW öffentlich gemacht hatten. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte am 15.10.2015 einen Bescheid gegenüber dem VW Konzern erlassen, in dem festgestellt wurde, dass die eingebaute Abgaseinrichtung in den Dieselmotoren unzulässig ist.

Keine arglistige sittenwidrige Täuschung

 Der BGH urteilte nun, dass das Verhalten von VW gegenüber Käufern, die erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals ein betroffenes Fahrzeug gekauft haben, keine arglistige sittenwidrige Täuschung war. Für die Bewertung eines Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB komme es auf den Gesamtcharakter des zu bewertenden Verhaltens des Schädigers an. Bereits im September 2015 habe VW sein Verhalten gegenüber den Käufern geändert, indem es die Käufer über den Sachverhalt aufgeklärt habe. Die Medien hätten ab diesem Zeitpunkt breit über den Sachverhalt berichtet. Damit seien Käufer ab diesem Zeitpunkt nicht mehr arglos gewesen. Folglich hätte VW auch die Arglosigkeit der Käufer nicht mehr in sittenwidriger Weise ausnutzen können.

Damit sei ein Anspruch auf Schadenersatz für Käufer, die nach September 2015 ein Fahrzeug erworben haben, nicht mehr gegeben (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 5/20).

Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren

In einem weiteren Fall hat der BGH den Schadensersatzanspruch des Käufers verneint, weil das Fahrzeug zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits eine Laufleistung von ca. 255.000 km aufwies. Der Käufer hatte das Fahrzeug gebraucht mit einem Kilometerstand von ca. 57.000 km erworben und hat dann selbst nochmals rund 200.000 km zurückgelegt. Bereits das OLG Braunschweig hatte einen Schadensersatzanspruch deshalb verneint, weil bei einem Kilometerstand von über 250.000 km die Gesamtlaufleistungserwartung des Fahrzeugs von 250.000 km erreicht sei. Der BGH hat die Entscheidung des OLG bestätigt. Der Käufer habe sämtliche Nutzungsvorteile gezogen, die beim Kauf des Fahrzeugs für dessen gesamte Lebensdauer zu erwarten gewesen seien.

Damit sei der grundsätzlich bestehende Schadensersatzanspruch durch die gezogenen Nutzungsvorteile vollständig aufgezehrt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19).

Keine Deliktszinsen für geschädigte Käufer

In einem weiteren Verfahren hatte das OLG Oldenburg der Käuferin eines im August 2014 erworbenen VW Golf neben dem Anspruch auf Schadensersatz eine Verzinsung des gezahlten Kaufpreises ab dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung zugesprochen und dies mit § 849 BGB begründet(OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019, Az.: 5 U 47/19). Nach dieser Vorschrift sind vom Schädiger sogenannte Deliktszinsen zu zahlen, wenn wegen der Entziehung einer Sache deren Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen ist. Der BGH schließt eine Anwendung des § 849 BGB deswegen aus, da die Klägerin als Gegenleistung für die Zahlung ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten habe. Durch die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit sei der Verlust des Geldwertes kompensiert worden. § 849 BGB habe den Zweck, den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache durch eine pauschalierte Verzinsung auszugleichen.

Da der Verlust der Käuferin im konkreten Fall aber kompensiert worden sei, entspreche eine Verzinsung hier nicht dem Zweck der Vorschrift komme daher nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19).

Ein nachträgliches Software-Update kompensiert den Schaden nicht

Der BGH hat in seiner vierten Entscheidung der Revision eines Klägers stattgegeben, der im April 2013 einen VW-Tiguan erworben hatte. Die Vorinstanzen wiesen die Klage noch mit dem Argument ab, der Kläger habe seiner Darlegungspflicht nicht genügt, weil er nicht dargelegt habe, welcher Täterkreis innerhalb der VW AG ihm gegenüber eine Täuschungshandlung vorgenommen haben soll. Der BGH entschied nun, dass der Kläger seiner Darlegungspflicht genügt habe, indem er behauptet habe, die dem Verhalten von VW zu Grunde liegende Entscheidungen seien auf der Leitungsebene des Konzerns getroffen oder zumindest gebilligt worden. Auch ist der Schaden des Klägers nach dem Urteil des BGH entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht durch Aufspielen des von VW entwickelten Software-Updates entfallen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 367/19).

Verbraucher haben weiterhin gute Chancen Schadensersatz von VW zu erhalten

Wir sind der Ansicht, dass selbst in Bezug auf den Motor des Typs EA 189 noch gute Chancen bestehen, einen Schadensersatzanspruch durchzusetzen:

Das aktuelle Urteil des BGH vom 30.07.2020 (Az.:VI ZR 5/20) bezieht sich inhaltlich nur auf den Dieselmotor des Typs EA 189 des VW Konzerns. Die Sittenwidrigkeit des Handelns von VW bezüglich des EA 189 Motors soll nach dem BGH ab dem 22.09.2015 entfallen sein, da die VW AG zu diesem Zeitpunkt den Einsatz der Abgasskandal-Software öffentlich zugab und damit ihr sittenwidriges Handeln änderte. VW durfte laut dem BGH davon ausgehen, dass seit diesem Datum jeder Käufer eines VW mit EA 189 Motor um die Abgasmanipulation wusste.

Urteil bezieht sich ausschließlich auf den Motor des Typs EA 189 des VW Konzerns

Selbst wenn man die Ansicht des BGH in Bezug auf den Motor EA 189 und dessen Bekanntheitsgrad unterstützt, so gilt dies beispielsweise nicht für den Nachfolgemotor EA 288. Hier haben sich die Käufer ja gerade darauf verlassen, dass nicht der Motor des Typs EA 189 verbaut ist, sondern eben ein neuer, moderner und weiterentwickelter Motor. Die Tatsache, dass VW auch in diesem eine unzulässige Softwaremanipulation vorgenommen hat, war gerade im Hinblick auf die Zugeständnisse beim EA 189, unbekannt. Die Verbraucher gingen davon aus, dass sich der Abgasskandal nur auf den Motor EA 189 bezieht.

Weitere von VW entwickelte Motoren wie beispielsweise die 3,0 l V6 TDI Motoren von Audi enthalten unzulässige Abschalteinrichtungen in Gestalt von sogenannten „Thermofenstern“. Diese Thermofenster liegen beispielsweise auch in den von Mercedes Benz verbauten Motoren des Typs OM 651 oder OM 624 vor. Zu diesen hat sich der BGH bisher noch nicht geäußert.

Käufer wissen in der Regel nicht welcher Motor im Fahrzeug verbaut ist

Ein Argument um auch in Bezug auf den Motor des Typs EA 189 Schadensersatz zu erlangen ist, dass der Käufer in der Regel gar nicht wissen konnte, welcher Motor in einem Fahrzeug verbaut ist.

Software-Update als bloße Servicemaßnahme

VW hat die Manipulation der Schummel-Software verharmlost und das Update teilweise als bloße Servicemaßnahme betitelt. Gegenüber der Presse sowie bei deren Rückrufen sprach der Autobauer von „Auffälligkeiten“ oder „Unregelmäßigkeiten“. Außerdem bewarb der Konzern verharmlosend eine „Serviceaktion“.

Software-Update behebt nicht die Mangelhaftigkeit

Hätte VW die Abgasgrenzwerte durch bessere Software erreichen können, hätten sie erst gar keine aufwändige Abschalteinrichtung bauen müssen. Trotzdem wurde zugesagt, die Mängel durch ein Update zu beheben. Wenn ein Käufer nun ein Fahrzeug kaufte und darauf vertraute, dass die Abgasmanipulation mit dem Update behoben ist, muss es in unseren Augen weiterhin einen Anspruch gegen VW geben.

Trotz der neuen BGH Entscheidungen in Bezug auf den VW Abgasskandal kann sich eine Klage auch weiterhin lohnen. Als erfahrene Kanzlei im Dieselskandal beraten wir Sie gerne zur Frage der Betroffenheit ihres Fahrzeuges und ob sich im konkreten Einzelfall eine Klage lohnt. Gerade auch Besitzer von Fahrzeugen anderer Marken wie Audi, Daimler, Seat oder BMW haben aufgrund der unterschiedlichen Motoren weiterhin gute Chancen ihren Anspruch auf Schadensersatz durchzusetzen. Sollten Sie über eine Rechtschutzversicherung verfügen, klären wir für Sie gerne im Vorfeld die Kostenübernahme.


Neues im Immobilienrecht: Entscheidung des BGH zum Makler- und Mietrecht - Provision wird auch fällig, wenn Makler sich nur austauschen

Neues im Immobilienrecht: Entscheidung des BGH zum Makler- und Mietrecht - Provision wird auch fällig, wenn Makler sich nur austauschen

Ein Wohnungssuchender muss einen Makler trotz Bestellerprinzip bezahlen, wenn dieser seine Informationen nur vom Makler des Vermieters hat. Voraussetzung ist aber, dass er das Wohnungsangebot nur im Interesse seines Kunden einholt (BGH, Urteil vom 14.03.2019, Az. IZR 134/18).

 

Hintergrund

 In dem zugrundeliegenden Fall erteilte eine Mutter bei der Suche nach einer Wohnung für ihren Sohn einem Immobilienmakler einen Makler-Suchauftrag. Der Makler befragte einen befreundeten Kollegen, ob er etwas Entsprechendes wisse. Dieser teilte mit, dass er wiederum von einem Freund – mit der Erlaubnis der Vermieterin – mit der Weitervermietung seiner Wohnung beauftragt worden sei und diese den Kriterien der Mutter entspreche. Es kam zu einem Besichtigungstermin an dem beide Makler teilnahmen. Der Sohn entschied sich in der Folge für die Wohnung. Der zuerst kontaktierte Makler forderte daraufhin sein Honorar ein. Die Mutter wollte dies nicht zahlen. Sie war der Ansicht, dass der Makler gegen das Bestellerprinzip aus § 2 Abs. 1 a Wohnungsvermittlungsgesetz (WoVermittG) verstoßen habe. Insbesondere habe der Makler keinen Auftrag von der Vermieterin eingeholt und sei auch nicht ausschließlich für sie als Kundin tätig gewesen.

 

Gesetzliche Regelung

Bei der Vermittlung von Wohnmietverträgen gilt in Deutschland das Bestellerprinzip. Das bedeutet, dass derjenige die Maklerprovision bezahlt, der den Makler beauftragt hat. Beauftragt der Vermieter den Makler damit, seine Immobilie zu vermarkten, ist er provisionspflichtig. Im Gegenzug muss der Mieter den Makler zahlen, wenn er diesen beauftragt, exklusiv für ihn eine Wohnung zu finden und es dann zum Abschluss eines Mietvertrages kommt. Der vermittlungsvertrag muss schriftlich geschlossen werden.

 

BGH gibt Makler Recht

 Der Kollege des Maklers war laut BGH berechtigt, die Wohnung anzubieten. Hierfür genügt es, dass ein Vormieter mit Erlaubnis des Vermieters einen Nachmieter suchen darf und dazu weitere Personen wie zum Beispiel einen Makler einschaltet (§ 6 Abs. 1 WoVermittG). Selbst eine „Kettenermächtigung“ von Makler zu Makler ist dabei zulässig. Der Makler hat hier den Auftrag zum Angebot der Wohnung von seinem Kollegen nur im Interesse und auf initiative seiner Kundin eingeholt. So war er ausschließlich für sie tätig, was die Regelung zum Bestellerprinzip voraussetzt. Der Makler hat damit Anspruch auf seine Provision.

 

Wer muss Provision zahlen?

 Um die Frage zu beantworten, ob der Vermieter oder der Wohnungssuchende die Maklerprovision zahlen muss, hängt laut BGH davon ab, ob die Vermittlertätigkeit ausschließlich im Interesse des Wohnungssuchenden liegt. In Fällen wie dem hier vorliegenden kann dies ausnahmsweise dazu führen, dass der Wohnungssuchende einen Maklerlohn zahlen muss, auch wenn der Vor- bzw. Vermieter einen Makler beauftragt hat.

 

Umgehung des Bestellerprinzips?

 Dies klingt zunächst nach einem legalen Weg das Bestellerprinzip zu umgehen und nach einer Möglichkeit für Makler, Vermietern durch den gegenseitigen Austausch von Informationen ein günstiges Geschäftsmodell anbieten zu können. Es ist aber davon auszugehen, dass der BGH anders entscheiden würde, wenn Makler nun gezielt zusammenarbeiten und ihre Informationen einzig aus diesem Grund austauschen würden.

 

Voraussetzungen und Besonderheiten des Provisionsanspruchs

 Der Entgeltanspruch des Wohnungsvermittlers nach § 2 Abs. 1 WoVermittG setzt den Abschluss eines wirksamen Maklervertrages zwischen dem Wohnungsvermittler und seinem Kunden nach § 652 Abs. 1 BGB voraus. Zu beachten ist, dass ein Vormieter, der vom Vermieter die Erlaubnis bekommen hat, sich selbst um einen Nachmieter zu kümmern, grundsätzlich als „anderer Berechtigter“ im Sinne von § 2 Abs. 1 a WoVermittG anzusehen. Laut BGH ist ein Wohnungsvermittler jedenfalls in Fällen, in denen er den Auftrag zum Angebot der Wohnung im Interesse und auf Initiative eines einzigen Wohnungssuchenden eingeholt hat, mit dem der Vermieter anschließend den Mietvertrag geschlossen hat, im Sinne von § 2 Abs. 1 a Halbsatz 1 WoVermittG ausschließlich im Interesse dieses Wohnungssuchenden tätig geworden.

Unsere im Immobilienrecht spezialisierte Kanzlei steht Ihnen bei allen Fragen zum Makler- Miet- und Provisionsrecht mit kompetenter Beratung zur Verfügung. Wir unterstützen Sie insbesondere bei der Abwehr oder Durchsetzung von Provisionsansprüchen, der Erstellung, Überprüfung oder Anfechtung von Maklerverträgen sowie der Maklerhaftung und Schadensersatz.


Neues BGH- Urteil im Mietrecht zu Schönheitsreparaturen: Mieter und Vermieter sollen sich die Renovierungskosten für Schönheitsreparaturen teilen

Neues BGH- Urteil im Mietrecht zu Schönheitsreparaturen: Mieter und Vermieter sollen sich die Renovierungskosten für Schönheitsreparaturen teilen

 

Mieter, die vor längerer Zeit in eine unrenovierte Wohnung eingezogen sind, dürfen von ihren Vermietern Schönheitsreparaturen fordern, müssen sich aber anteilig an den Kosten beteiligen (BGH, Urteil vom 08.07.2020 – XIII ZR 163/18; VIII ZR 270/18).

Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 08.07.2020 in zwei Verfahren entschieden, „dass ein Mieter, dem eine unrenovierte Wohnung als vertragsgemäß überlassen wurde und auf den die Schönheitsreparaturen nicht wirksam abgewälzt wurden, vom Vermieter die Durchführung von Schönheitsreparaturen verlangen kann, wenn eine wesentliche Verschlechterung des Dekorationszustandes eingetreten ist. Allerdings hat er sich in diesem Fall nach Treu und Glauben an den hierfür anfallenden Kosten (regelmäßig zur Hälfte) zu beteiligen, weil die Ausführung der Schönheitsreparaturen zu einer Verbesserung des vertragsgemäßen (unrenovierten) Dekorationszustands der Wohnung bei Mietbeginn führt“.

 

Hintergrund

Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass so gut wie alle Mietverträge die sogenannten Schönheitsreparaturen dem Mieter aufbürden. Grundsätzlich ist das auch erlaubt. Allerdings ist nicht jede gängige Klausel zulässig. Mieter, die ihre Wohnung unrenoviert beziehen, müssen diese zum Beispiel grundsätzlich nicht auf eigene Kosten herrichten. Sonst müssten sie die Räume im ungünstigsten Fall schöner zurückgeben, als sie sie selbst übernommen haben, entschied der BGH im Jahr 2015. Derartige Klauseln im Mietvertrag sind unwirksam. Allerdings war bisher ungeklärt, ob stattdessen der Vermieter einspringen muss. Nach § 535 BGB muss er die Wohnung „in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand“ überlassen und „in diesem Zustand“ erhalten.

 

Zu den Fällen

 

Verfahren VIII ZR 163/18:

Die Kläger mieteten im Jahr 2002 von der beklagten Vermieterin eine bei Überlassung unrenovierte Wohnung in Berlin. Da sich aus ihrer Sicht der Zustand der Wohnungsdekoration zwischenzeitlich verschlechtert habe, forderten sie die Beklagte im März 2016 vergeblich auf, Tapezier- und Anstricharbeiten gemäß einem beigefügten Kostenvoranschlag ausführen zu lassen. Die auf Zahlung eines entsprechenden Vorschusses in Höhe von (zuletzt) € 7.312,78 gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg.

 

Verfahren VIII ZR 270/18:

In diesem Verfahren begehrt der Mieter (im Rahmen einer Widerklage) die Verurteilung der Vermieterin zur Vornahme konkret bezeichneter Schönheitsreparaturen. Die Wohnung war ihm bei Mietbeginn im Jahr 1992 von der Rechtsvorgängerin der Vermieterin unrenoviert überlassen worden. Im Dezember 2015 forderte er die Vermieterin vergeblich auf, die aus seiner Sicht zur Beseitigung des mangelhaften Renovierungszustands erforderlichen Malerarbeiten in der Wohnung auszuführen. Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg.

 

Entscheidung des BGH

Der Bundesgerichtshof hat in beiden Fällen das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zwar sind die Berufungskammern in beiden Fällen zutreffend davon ausgegangen, dass die Übertragung der Schönheitsreparaturen auf die Mieter im Formularmietvertrag unwirksam ist, da diesen jeweils eine unrenovierte Wohnung überlassen und ihnen hierfür kein angemessener finanzieller Ausgleich gezahlt wurde. Der BGH hat damit seine Rechtsprechung bestätigt, wonach in diesen Fällen an die Stelle der unwirksamen Schönheitsreparaturklausel die gesetzlich (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) normierte Erhaltungspflicht des Vermieters tritt (vgl. Senatsurteile vom 18. März 2015 – VIII ZR 185/14, Rn. 15, 35; vom 22. August 2018 – VIII ZR 277/16, Rn. 20). Ausgangspunkt der den Vermieter treffenden Erhaltungspflicht ist grundsätzlich der Zustand der Wohnung im Zeitpunkt ihrer Überlassung an die jeweiligen Mieter, vorliegend nach der Verkehrsanschauung mithin der unrenovierte Zustand, in dem sie sie die Wohnung besichtigt und angemietet haben, ohne dass Vereinbarungen über vom Vermieter noch auszuführende Arbeiten getroffen wurden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im Verfahren VIII ZR 163/18 führt das aber nicht dazu, dass Instandhaltungsansprüche der Mieter unabhängig von dem weiteren Verschleiß der Dekoration von vornherein auszuscheiden hätten. Vielmehr trifft den Vermieter eine Instandhaltungspflicht, wenn sich der anfängliche Dekorationszustand wesentlich verschlechtert hat – was nach langem Zeitablauf seit Mietbeginn (hier: 14 bzw. 25 Jahre) naheliegt. Allerdings ist die Wiederherstellung des (vertragsgemäßen) Anfangszustandes in der Regel nicht praktikabel, zumindest aber wirtschaftlich nicht sinnvoll und liegt auch nicht im Interesse vernünftiger Mietvertragsparteien. Vielmehr ist allein eine Durchführung von Schönheitsreparaturen sach- und interessengerecht, durch die der Vermieter die Wohnung in einen frisch renovierten Zustand versetzt. Da hierdurch auch die Gebrauchsspuren aus der Zeit vor dem gegenwärtigen Mietverhältnis beseitigt werden und der Mieter nach Durchführung der Schönheitsreparaturen eine Wohnung mit einem besserem als dem vertragsgemäßen Zustand bei Mietbeginn erhält, gebietet es der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), die jeweiligen Interessen der Vertragspartner in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.

 

Wer eine Renovierung fordert muss sich an den Kosten beteiligen

Gemäß § 535 Abs. 1 BGB muss der Vermieter die Wohnung in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand überlassen und diesen Zustand erhalten. Allerdings gibt es zum Ursprungszustand kein Zurück. Die Wohnungen sind, auch wenn sie bei Einzug unrenoviert waren, abgewohnter als zu Beginn. Würde der Vermieter nun renovieren, wäre ihr Zustand viel besser als zu Beginn des Mietverhältnisses. Vor diesem Hintergrund hat der Senat entschieden, dass der Mieter in derartigen Fällen zwar einerseits vom Vermieter eine „frische“ Renovierung verlangen kann, sich aber andererseits in angemessenem Umfang an den dafür erforderlichen Kosten zu beteiligen hat. Soweit nicht Besonderheiten vorliegen, wird dies regelmäßig eine hälftige Kostenbeteiligung bedeuten. Begehrt der Mieter (wie im Verfahren VIII ZR 270/18) die Vornahme der Schönheitsreparaturen durch den Vermieter, so kann dieser die Kostenbeteiligung des Mieters nach Art eines Zurückbehaltungsrechts einwenden. Verlangt der Mieter von dem mit der Durchführung der Arbeiten in Verzug geratenen Vermieter die Zahlung eines Kostenvorschusses (wie im Verfahren VIII ZR 163/18) führt die angemessene Kostenbeteiligung zu einem entsprechenden Abzug von den voraussichtlichen Kosten.

 

Kritik von Mieter- und Eigentümerverbänden

Der Deutsche Mieterbund kritisierte das Urteil als unverständlich. Der Vermieter habe den Mieter zu regelmäßigen Renovierungen verpflichten wollen – unabhängig vom Zustand der Wohnung. Keine anderen Anforderungen dürfen aber dann für den Vermieter gelten, wenn die Abwälzung seiner Pflicht zur Instandhaltung der Wohnung auf den Mieter gescheitert ist. Es ist nicht einzusehen, weshalb hier mit zweierlei Maß gemessen wird, sagte Präsident Lukas Siebenkotten. Das Urteil werde zu weiterem Streit über die Kostenaufteilung führen.

Auch der Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland befürchtet große Probleme bei der praktischen Umsetzung und wachsendes Misstrauen zwischen Mietern und Vermietern, die sich während des Mietverhältnisses nun immer im Einzelfall verständigen müssten. Verbandspräsident Kai Warnecke warnte vor steigenden Mieten. Ist der Vermieter verpflichtet, während eines laufenden Mietverhältnisses Schönheitsreparaturen auszuführen, muss er diese Kosten in die Miete einpreisen, sagte er. Das treffe auch Mieter, die nur wenige Jahre in der Wohnung lebten und nicht in den Genuss einer Renovierung kämen. Schönheitsreparaturen sollen daher Mietersache sein Das müsse der Gesetzgeber nach diesem Urteil klarstellen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Kompromisslösung in der Praxis umsetzen lässt und ob hierdurch die Streitereien in Bezug auf die Durchführung von Schönheitsreparaturen tatsächlich abnehmen.

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