Familienrecht - Keine verfestigte Lebensgemeinschaft vor Ablauf von drei Jahren bei Anfeindungen durch den Unterhaltspflichtigen

Familienrecht - Keine verfestigte Lebensgemeinschaft vor Ablauf von drei Jahren bei Anfeindungen durch den Unterhaltspflichtigen

Der Annahme einer verwirkungsbegründenden verfestigten Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB vor Ablauf einer Beziehungsdauer von drei Jahren kann entgegenstehen, dass die Unterhaltsberechtigte und ihr Partner erheblichen Anfeindungen des Unterhaltsverpflichteten ausgesetzt sind, die die Beziehung belasten und zu einer zunächst distanzierten Beziehungsaufnahme geführt haben.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.12.2021 – 3 UF 36/21

Hintergrund

Die Beteiligten haben am 28.09.2009 geheiratet. Aus ihrer Ehe sind die beiden Töchter J und M hervorgegangen. Im Februar 2019 zog die Antragstellerin mit den Kindern aus dem ehelichen Einfamilienhaus aus. Seither leben die Beteiligten getrennt. Die eheliche Immobilie bewohnt nunmehr allein der Antragsgegner. Das Scheidungsverfahren ist seit dem 25.02.2020 rechtshängig.

Die Antragstellerin hat den Antragsgegner Trennungsunterhalt ab Dezember 2019 sowie auf Kindesunterhalt für beide Kinder in Anspruch genommen. Dem ist der Antragsgegner insgesamt entgegengetreten und hat geltend gemacht, dass ein Anspruch auf Trennungsunterhalt der Antragstellerin nicht zustehe. Jedenfalls seien Trennungsunterhaltsansprüche verwirkt. Die Antragstellerin verunglimpfe ihn und habe Strafanzeigen gegen ihn erstattet. Ein Strafverfahren hätte Auswirkungen auf sein Arbeitsverhältnis. Auch beschimpfte sie ihn gegenüber Dritten und behauptete unwahre Tatsachen über ihn. Damit verletze sie erheblich die eheliche Solidarität.

Amtsgericht Kleve bestätigt Trennungsunterhalt

Das Amtsgericht Kleve hat den Antragsgegner mit dem angefochtenen Beschluss vom 22.02.2021 verpflichtet, an die Antragstellerin Trennungsunterhalt für Januar 2020 in Höhe von 1.564,00 € und für die Zeit ab Februar 2020 in Höhe von monatlich 1.687,00 € sowie Kindesunterhalt zu bezahlen. Der Anspruch auf Trennungsunterhalt sei nicht verwirkt. Aus den zwischen den Beteiligten geführten Verfahren sei bekannt, dass der Antragsgegner die Antragstellerin und ihren Lebensgefährten, den Zeugen T, mit massiven beleidigenden und belästigenden Nachrichten überziehe, weshalb es ihr freisteht, Strafanzeige zu erstatten. Die eheliche Solidarität gebietet es nicht, sich beleidigen zu lassen, um nicht Unterhaltsansprüche zu verlieren.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen das über den Mindestunterhalt für beide Töchter hinausgehende Unterhaltsbegehren. Im Rahmen des Verwirkungseinwandes sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin seit April 2019 mit dem Zeugen T zusammenlebe und mit diesem als Paar auftrete.

OLG Düsseldorf bestätigt Ansprüche teilweise

Nach Ansicht des OLG Düsseldorf sind die Ansprüche der Antragstellerin auf Trennungsunterhalt aus § 1361 Abs. 1 BGB und auf Kindesunterhalt für die beiden Kinder J und M aus den §§ 1601, 1629 Abs. 3 S. 1 BGB gegeben.

Dem Anspruch auf Trennungsunterhalt steht nicht der Einwand der Verwirkung gemäß der §§ 1361 Abs. 3, 1579 BGB entgegen. Die seitens der Antragstellerin gegen den Antragsgegner erstatteten Strafanzeigen und die vorgetragenen Verunglimpfungen begründen keinen Verwirkungstatbestand, insbesondere kein schwerwiegendes vorsätzliches Vergehen im Sinne des § 15979 Nr. 3 BGB und kein offensichtlich schwerwiegendes Fehlverhalten im Sinne des § 1579 Nr. 7 BGB. Dass sich die Antragstellerin gegen die Nachstellungen des Antragsgegners auch mit strafrechtlichen Mitteln zur Wehr setzt, unterliegt als Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht im Verdikt des verwirkungsbegründeten Fehlverhaltens. Dass sich die Antragstellerin gegenüber Dritten negativ über den Antragsgegner äußert und ihm gegenüber Vorwürfe erhebt, ist angesichts der offensichtlichen Konfliktfähigkeit des Verhältnisses der Beteiligten ebenfalls nicht als verwirkungsrelevanter Verstoß gegen die eheliche Solidarität oder gar gegen Straftatbestände zu werten.

Auch der Verwirkungstatbestand der verfestigten Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB lässt sich nicht feststellen.

Eine verfestigte Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB kann nach der Rechtsprechung des BGH angenommen werden, wenn das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit über die Dauer der Verbindung den Schluss nahelegen, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte sich endgültig aus der ehelichen Solidarität herausgelöst hat. Dabei geht es nicht um die Sanktionierung eines vorwerfbaren Fehlverhaltens des Unterhaltsberechtigten, sondern um die angemessene Erfassung objektiver Gegebenheiten bzw. Veränderungen in den Lebensverhältnissen des bedürftigen Ehegatten, die eine dauerhafte Unterhaltsleistung unzumutbar erscheinen lassen.

Danach ist derzeit noch nicht von einer verfestigten Lebensgemeinschaft der Antragstellerin mit dem Zeugen T auszugehen. Zwar wird eine Lebensgemeinschaft der beiden auf der Grundlage der Erklärungen der Antragstellerin im Senatstermin vom 19.11.2021 für die Zeit ab Juli 2019 anzunehmen sein. Auch übernachtet der Zeuge T bei der Antragstellerin 5 bis 6 mal in der Woche und verfügt über einen Schlüssel zum Haus der Antragstellerin.

Allerdings hat die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass die Antragstellerin und der Zeuge T ein gemeinsames Bauprojekt in Angriff genommen hätten. Aus diesem Aspekt könne also keine Verfestigung der Beziehung abgeleitet werden.

In zeitlicher Hinsicht kann hier nach den konkreten Einzelfallumständen eine Verfestigung frühestens nach Ablauf der vom BGH genannten Höchstrahmensdauer von drei Jahren, mithin nicht vor Juli 2022, angenommen werden. Die Beziehung der Antragstellerin und des Zeugen T ist nämlich dadurch in besonderer Weise geprägt, dass sie erheblichen Anfeindungen seitens des Antragsgegners ausgesetzt ist. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin häufig gedroht, so habe er beispielsweise bekundet, dass er vorbeikommen würde und die Beziehung der Antragstellerin zum Zeugen T abartig und krank sei und der Zeuge T dies irgendwann bereuen würde. Diese massiven, das hinnehmbare Maß provokanter Äußerungen in Trennungskonflikten deutlich übersteigenden Anfeindungen haben die Bereitschaft der Antragstellerin und des Zeugen, eine feste Beziehung einzugehen, auf eine harte Probe gestellt und beide zu einer zunächst distanzierten Beziehungsaufnahme bewogen. Angesichts dieser Belastungen für die Beziehung kann hier von einer hinreichenden Verfestigung, die eine dauerhafte Verbindung erwarten lässt, nicht vor Ablauf von drei Jahren ausgegangen werden.

Die Entscheidung zeigt deutlich, dass sowohl unterhaltsverpflichtete als auch unterhaltsberechtigte Personen übergriffiges Verhalten bzw. Verschmähungen oder Beleidigungen unter Kontrolle halten sollten. Konsequenzen eines übergriffigen Verhaltens können sodann der Ausschluss der verfestigten Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB sein, mit der Konsequenz, dass der Unterhaltsverpflichtete Trennungsunterhalt leisten muss.

Unsere auf das Familienrecht spezialisierten Anwältinnen beraten Sie gerne zu sämtlichen Feldern des Unterhaltsrechts.


Familienrecht - Zugewinn bei gesamtschuldnerischen Darlehen für Immobilie im Eigentum eines Ehegatten

Familienrecht - Zugewinn bei gesamtschuldnerischen Darlehen für Immobilie im Eigentum eines Ehegatten

1. Geht ein Ehegatte vor Eheschließung zur Finanzierung des Erwerbs einer Immobilie durch den anderen Ehegatten neben diesem eine gesamtschuldnerische Darlehensverpflichtung ein, so ist bei Bewertung der Verbindlichkeit auch im Anfangsvermögen im Zweifel davon auszugehen, dass diese im Innenverhältnis allein vom Eigentümer des Grundstücks zu tragen ist.

2. Im Anfangs- und Endvermögen des Eigentümers sind in diesem Fall zum jeweiligen Stichtag einheitlich der Grundstückswert als Aktivposten und die volle noch offene Darlehensvaluta als Passivposten einzustellen.

3. Die familienrechtliche Überlagerung des Innenverhältnisses der Ehegatten betrifft vornehmlich die Zahlung der laufenden Kreditraten und deren regelmäßig ausgeschlossenen gesonderten Ausgleich. Dagegen wirkt sie sich auf die Beteiligungsquote die noch zur Rückzahlung offene Kreditvaluta grundsätzlich nicht aus.

BGH, Beschluss vom 6.11.2019-XII ZB 311 / 18

Der Entscheidung des BGH ist zu entnehmen, dass wenn eine Immobilie im Alleineigentum eines Ehegatten steht, und vor Eheschließung der Kreditvertrag dennoch von beiden Ehegatten unterschrieben wurde, bei der Berechnung des Zugewinnausgleichsanspruchs im Anfangsvermögen die Kreditverbindlichkeiten im Zweifel nur bei dem Ehegatten berücksichtigt werden, der Alleineigentümer der Immobilie ist.

Beide Ehegatten haften in diesem Fall im Außenverhältnis, d. h. gegenüber der Bank, für die Rückzahlung der Verbindlichkeiten.

Nach Auffassung der Karlsruher Richter steht im Falle der Trennung von dem Ehegatten, der nicht Miteigentümer der Immobilie ist, gegen den anderen Ehegatten ein Anspruch auf Freistellung aus diesen Kreditverbindlichkeiten zu. Der Eigentümer der Immobilie ist im Innenverhältnis verpflichtet, die Kreditverbindlichkeiten allein zu tilgen.

Im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung hat der BGH in dem vorgenannten Beschluss entschieden, dass die Kreditverbindlichkeiten, wenn sie vor Eheschließung bereits bestanden haben, nur bei dem Ehegatten in das Anfangsvermögen eingestellt werden, welcher Alleineigentümer der Immobilie ist, obwohl auch der andere Ehegatte den Darlehensvertrag mitunterzeichnet hat.

Die Entscheidung verdeutlicht, dass sich durch den Umstand, dass die Kreditverbindlichkeiten nur bei dem Ehegatten in das Anfangsvermögen eingestellt werden, welcher Alleineigentümer der Immobilie ist, sich in der Regel der Zugewinnausgleichsanspruchs des Nichteigentümers der Immobilie minimiert.

Im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung ist daher genau darauf zu achten, wer Eigentümer der Immobilie und wer Schuldner der Kreditverbindlichkeiten ist. Eine falsche Berechnung kann erhebliche finanzielle Auswirkungen zur Folge haben.

In unserer auf das Familienrecht spezialisierten Kanzlei beraten wir Sie kompetent zu Fragen der Vermögensauseinandersetzung im Rahmen einer Scheidung sowie zu sämtlichen Fragestellungen des Zugewinnausgleichs auch im Hinblick auf Darlehen für Immobilien im Eigentum nur eines Ehegatten.


Arbeitsrecht - Grundsatzurteil des BAG - Urlaub verjährt nicht

Arbeitsrecht - Grundsatzurteil des BAG - Urlaub verjährt nicht

Urlaub verjährt erst dann, wenn der Arbeitnehmer vorher auf seinen Urlaubsanspruch hingewiesen wurde. Unionsrecht geht nationalem Recht vor. Mit seinem weitreichenden Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 266/20) setzt das BAG zwingende Vorgaben des EuGH um.

Danach verjährt Urlaub nur, wenn Unternehmen vorher ihre Beschäftigten darauf hingewiesen haben, dass ihnen Urlaub zusteht, der bei fehlender Inanspruchnahme verfällt. Fehlt es hieran, können auch noch Ansprüche aus früheren Jahren geltend gemacht werden, auf die regelmäßige dreijährige Verjährung nach nationalem Recht (§§ 195, 199 BGB) dürfen sich die Arbeitgeber in diesen Fällen nicht berufen. Hiermit setzt das BAG zwingende Vorgaben des europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 22.09.2022 – C-120/21) um, die dieser dem BAG als Antwort auf den bundesarbeitsgerichtlichen Vorlagebeschluss vom 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 aufgegeben hatte.

Hintergrund

Ausgangspunkt dieser Entscheidung war ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Solingen (Urteil vom 19.02.2019, AZ: 3 Ca 155/18). Die dort klagende Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin war in einer Kanzlei von November 1996 bis Ende Juli 2017 beschäftigt. Aufgrund erhöhten Arbeitsaufwandes, konnte sie ihren Urlaub nie vollständig in Anspruch nehmen. Als die Arbeitnehmerin dann aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, machte sie die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren geltend.

Das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht wies die Klage auf Abgeltung bis auf die Urlaubstage des Jahres 2017 ab. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 21.02.2020 – 10 SA 180/19) gab der Klägerin recht und verurteilte den Arbeitgeber zur Abgeltung des geltend gemachten Urlaubs, sowohl für das Jahr 2017 als auch für die Vorjahre, hinsichtlich der Arbeitgeber sich auf die Einrede der Verjährung berufen hatte. Die Kammer des LAG sprach der Steuerfachangestellten damit eine Summe von 17.376,64 € brutto Urlaubsabgeltung für die Jahre 2013 bis 2016 zu. Der Arbeitgeber rief das BAG zur höchstrichterlichen Klärung an.

Hinweispflicht des Arbeitgebers

Streitpunkt war insbesondere die rechtliche Frage, wie lange Urlaubsansprüche bestehen und sozusagen haltbar sind. Nach dem nationalen Bundesurlaubsgesetz würde Urlaub, der im aktuellen Kalenderjahr nicht genommen wurde, mit dem Ende des Kalenderjahres, spätestens aber zum 31. März des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 BurlG) verfallen. Noch bestehender Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht beansprucht werden konnte, ist auszuzahlen (§ 7 Abs. 4 BUrlG).

Das deutsche Urlaubsrecht ist mittlerweile aber maßgeblich durch die Rechtsprechung sowie die Richtlinien und Verordnungen des europäischen Rechts geprägt. Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub ist dort in Art. 31 Abs. 2 der Grundrechte Charter verbürgt. Weitere Regelungen enthalten Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/IG sowie den zahlreichen Entscheidungen zu dessen Auslegung durch den EuGH. Urlaubsrechtliche Fragen können damit nicht allein nach nationalem Recht, sondern nur zusammen mit den unionsrechtlichen Vorgaben betrachtet werden.

Eine für die aktuelle entscheidungsrelevante Entscheidung hatte der EuGH bereits im Jahr 2018 (Urteil vom 06.11.2018 – C-684/16) getroffen und festgestellt, dass Urlaub nur verfallen könne, wenn der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, den Urlaubsanspruch auch wahrzunehmen. Umgesetzt wurde diese Entscheidung im Folgejahr vom BAG, welches eine arbeitgeberseitige Hinweis- und Aufklärungspflicht als Obliegenheit des Arbeitgebers schuf. Nur wenn der Arbeitgeber diese erfülle, könne Urlaub nach den Vorgaben des Bundesurlaubsgesetzes verfallen.

Verjährung bei fehlendem Hinweis

Da der Arbeitgeber im vorliegenden Fall die Hinweispflicht nicht erfüllt hatte, schied ein Verfall des Urlaubs aus. Das vom Arbeitgeber vorgebrachte Argument, das zum damaligen Zeitpunkt die Hinweis- und Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nicht gerichtlich festgestellt war, ließen weder EuGH noch BAG gelten. Der Arbeitgeber berief sich aber zusätzlich auf die Verjährung des Urlaubsabgeltungsanspruchs. Nach deutschem Recht verjährt ein Anspruch grundsätzlich nach drei Jahren (§ 195 BGB). Diese regelmäßige Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Schuldner Kenntnis von den tatsächlichen Umständen hat (§ 199 Abs. 1 BGB). Eine Rechtsfolgenkenntnis ist nicht notwendig. Ob dies nun auch im Urlaubsrecht gilt, wollte das BAG mit seiner Vorlage vom EuGH wissen. Es berief sich insbesondere auf das Argument der Rechtssicherheit. Dieses muss auch dann gelten, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Unterrichtsobliegenheiten nicht nachgekommen sei.

EuGH erteilt insoweit Absage

Der EuGH erteilte dem BAG insoweit eine Absage. Es sei zwar richtig, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzieller Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden.

Allerdings sei dieses Interesse nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor nicht in die Lage versetzt habe, den Urlaub tatsächlich wahrzunehmen. Dadurch habe er sich selbst in eine Situation gebracht, in der mit solchen Anträgen konfrontiert werde und überdies zulasten des Arbeitnehmers Nutzen ziehen könnte. Daher stehe das nationale Verjährungsrecht Deutschlands den Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie entgegen, wenn es zum Urlaubsverfall beim nicht aufgeklärten Arbeitnehmer führe.

BAG: Urlaub verjährt nicht

In der Pressemitteilung des BAG vom 20.12.2022 lautet es zwar, dass der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub der gesetzlichen dreijährigen Verjährung unterliege, wobei die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Das BAG setze damit die Vorgaben des EuGH um. Und nach diesem trete der Zweck der Verjährungsvorschriften, nämlich die Schaffung von Rechtssicherheit, jedenfalls im vorliegenden Fall hinter dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers zurück.

Dieses Grundsatzurteil zeigt erneut, wie stark das Urlaubsrecht mittlerweile durch das Unionsrechts geprägt ist. Insbesondere wird es interessant sein, ob auch ehemalige Beschäftigte, die vor Anerkennung der Hinweispflichten aus einem Unternehmen ausgeschieden sind und nunmehr die Abgeltung ältere Urlaubsansprüche verlangen, dies vor den Arbeits- und Landesarbeitsgerichten erfolgreich geltend machen können. Auch arbeits- und tarifvertragliche Ausschlussfristen sind in diesem Zusammenhang zu diskutieren.

In unserer auf das Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei stehen wir Ihnen bei sämtlichen Fragen zum Urlaubsrecht sowie den neuen arbeitgeberrechtlichen Hinweispflichten vor dem Hintergrund des Grundsatzurteils des BAG gerne zur Verfügung.


Familienrecht - Das neue Not-Vertretungsrecht für Ehegatten

Familienrecht - Das neue Not-Vertretungsrecht für Ehegatten

Zum 1. Januar 2023 ist eine umfangreiche Reform des Betreuungsrechts in Kraft getreten. Teil dieser Neuregelung ist die Einführung eines gegenseitigen Vertretungsrechts von Ehegatten in einer Notfallsituation im Bereich der Gesundheitssorge. Diese Regelung kommt nur dann zur Anwendung, wenn die Ehegatten keine Regelungen zur Vertretung im Erkrankungsfall getroffen haben.

Bisherige Regelung

Bisher darf ein Ehegatte den anderen nur vertreten, wenn er über eine Vorsorgevollmacht für den anderen Ehegatten verfügt, die Regelungen zur Gesundheitssorge enthält, oder wenn er vom Betreuungsgericht zum rechtlichen Betreuer des anderen Ehegatten bestellt wurde. Der am 01.01.2023 in Kraft getretene § 1358 BGB gibt den Ehegatten zukünftig für den Notfall ein gegenseitiges Vertretungsrecht im Bereich der Gesundheitsfürsorge, welches allerdings an enge Voraussetzungen gebunden ist und nur max. 6 Monate gilt.

Neue Notfallregelung

Kann ein Ehegatte aufgrund einer Erkrankung oder eines Unfalls seine eigenen Angelegenheiten gegenüber Ärzten, der Krankenkasse, einem Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung nicht alleine regeln, so darf der andere Ehegatte in diesen engen Grenzen für ihn tätig werden. Dieses Not-Vertretungsrecht gilt allerdings für längstens sechs Monate. Sollte der betroffene Ehegatte für eine längere Zeit einen rechtlichen Vertreter benötigen, muss ein gesetzlicher Betreuer durch das Betreuungsgericht bestellt werden.

Ehegatte erhält einige Rechte im Bereich der Gesundheitssorge

Der andere Ehegatte darf in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, in Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligen oder diese untersagen. Er erhält hierfür die ärztlichen Aufklärungen, die der erkrankte Ehegatte nicht selbst entgegennehmen kann. Er darf sämtliche erforderlichen Verträge, wie beispielsweise Behandlungsverträge abschließen. Er ist in der Lage über freiheitsentziehende Maßnahmen im Krankenhaus oder im Heim zu entscheiden, sofern die Dauer der Maßnahme im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet. Auch darf er Ansprüche des erkrankten Ehegatten geltend machen, die diesem aus Anlass der Erkrankung gegenüber Dritten zustehen. Dies kann der Fall bei einem Verkehrsunfall sein, bei welchem Ansprüche gegen den Unfallgegner geltend gemacht werden. Der Ehegatte darf diese Ansprüche auch an Leistungserbringer wie die Krankenkasse abtreten. Im Rahmen dieser Befugnisse sind auch Ärzte dem anderen Ehegatten gegenüber von ihrer Schweigepflicht entbunden.

Beginn der Sechsmonatsfrist

Tritt die Notsituation ein und wird das Vertretungsrecht erstmals gegenüber einem Arzt geltend gemacht, so hat dieser dem Ehegatten, der den erkrankten Ehegatten vertritt, schriftlich zu bestätigen, dass die Voraussetzungen der Ehegattenvertretung vorliegen. Er hat insbesondere den Zeitpunkt, ab dem das Vertretungsrecht greift, schriftlich zu bestätigen. In dieser schriftlichen Bestätigung durch den Arzt müssen die Voraussetzungen des Ehegattenvertretungsrechts und eventuelle Ausschlussgründe enthalten sein. Der Arzt hat sich ferner von dem vertretenen Ehegatten schriftlich bestätigen zu lassen, dass das Vertretungsrecht bisher noch nicht ausgeübt wurde und kein Ausschlussgrund für das Ehegattenvertretungsrecht vorliegt. Das entsprechende Schriftstück hat der Arzt dem vertretenden Ehegatten zur weiteren Ausübung des Vertretungsrechts zu übergeben. Dieses ist bei allen Vertretungshandlungen im Bereich der Gesundheitssorge im Rahmen des Notvertretungsrechts vorzulegen.

Ausschlussgründe für das Not-Vertretungsrecht

Leben die Ehegatten getrennt, ist die Anwendung des Notvertretungsrechts ausgeschlossen. Ebenfalls liegt ein Ausschlussgrund vor, wenn dem vertretenden Ehegatten oder dem Arzt bekannt ist, dass der erkrankte Ehegatte es nicht wünscht, dass der andere Ehegatte ihn vertritt.

Die Anwendung des Notvertretungsrechts scheidet auch dann aus, wenn es bereits eine Vorsorgevollmacht gibt, in der der Aufgabenbereich Gesundheitsfürsorge geregelt ist. Sollte diese einen an eine andere Person bevollmächtigen, hat der Ehegatte damit kein Recht, über das Not-Vertretungsrecht Entscheidungen für den erkrankten Ehegatten zu treffen. Dies gilt auch, wenn es für den erkrankten Ehegatten schon einen gesetzlichen Betreuer für den Aufgabenbereich Gesundheitssorge gibt.

Sobald die maximale Frist von sechs Monaten für die Notvertretung abgelaufen ist, kann sie nicht noch einmal verlängert werden. Ab da bedarf es der Abbestellung eines gesetzlichen Betreuers mit dem Aufgabenbereich Gesundheitssorge, sodann darf das Not-Vertretungsrecht des Ehegatten ebenfalls nicht mehr ausgeübt werden.

Vorsorgevollmacht weiter sinnvoll

Das Notfallvertretungsrecht eröffnet lediglich begrenzte Handlungsmöglichkeiten und dies nur für eine Dauer von max. 6 Monaten und eine umfassende Vertretung in allen Lebensbereichen der Ehegatten ist damit nicht möglich. Erst wenn eine Vorsorgevollmacht erstellt wird, die sämtliche Aufgabenbereiche umfasst, können die Ehegatten auch für die Zukunft sicherstellen, dass sie vollumfänglich vertreten werden, wenn sie aufgrund einer Erkrankung, eines Unfalls oder zunehmendem Alters nicht mehr für sich selbst sorgen können.

Eine Vorsorgevollmacht deckt sowohl den Bereich der Gesundheitssorge als auch den Bereich der Vermögenssorge ab. Damit hat der Vertreter die Möglichkeit, sämtliche notwendigen Handlungen für denjenigen vorzunehmen, der die Vollmacht auch erteilt hat. Mit einer notariellen Generalvollmacht wird meistens nur der Bereich der Vermögenssorge abgedeckt. Wenn die Gesundheit so wie hier, nicht übertragen wird, muss dafür beim Betreuungsgericht eine rechtliche Betreuung beantragt werden. Es empfiehlt sich daher frühzeitig eine Vorsorgevollmacht und eventuell zugleich eine Patientenverfügung zu errichten.

Unsere auf das Familienrecht spezialisierten Anwältinnen beraten Sie kompetent zu Fragen der rechtlichen Vorsorge durch eine Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung oder Patientenverfügung.


Familienrecht - neue Düsseldorfer Tabelle 2023

Familienrecht - neue Düsseldorfer Tabelle 2023

Zum 01.01.2023 wurde die Düsseldorfer Tabelle angepasst. Die Änderungen im Vergleich zum vergangenen Jahr betreffen im Wesentlichen die Bedarfssätze minderjähriger und volljähriger Kinder, den Bedarf eines studierenden Kindes und der dem Unterhaltspflichtigen zu belastende Eigenbedarf (BGH, Urteil vom 27.10.2021 – XII ZB 123/21). Strukturell hat sich bei der Tabelle im Vergleich zum Jahr 2022 nichts geändert. Es verbleibt bei den bisherigen 15 Einkommensgruppen und dem der Tabelle zugrunde liegenden Regelfall von zwei Unterhaltsberechtigten.

Anstieg des Unterhalts

Der Mindestunterhalt eines Kindes Ende des sechsten Lebensjahres (erste Stufe) erhöht sich von 396,00 € auf 437,00 € monatlich. Vom siebten bis zum Ende des zwölften Lebensjahres (zweite Stufe) von 455,00 € auf 502,00 € monatlich und ab dem 13. Lebensjahr bis zur Volljährigkeit (dritte Stufe) von 533,00 € auf 588,00 € monatlich.

Diese Beträge entsprechen den Bedarfssätzen der ersten Einkommensgruppe, welche bis 1.900,00 € der Düsseldorfer Tabelle geht. Die Bedarfssätze der 2.-10. Einkommensgruppe sind entsprechend erhöht worden. Sie wurden in der 2.-5. Einkommensgruppe um je 5 % und von der 6.-10. Einkommensgruppe um 8 % des Mindestunterhalts angehoben.

Änderung für volljährige Kinder

Auch die Bedarfssätze volljähriger Kinder wurden zum 01.01.2023 angehoben. Sie betragen wie auch im Jahr 2022, 125 % des Bedarfs der zweiten Altersstufe.

Erhöhung des Mindestbedarfssatzes für Studenten

Für volljährige Kinder, die studieren und nicht bei ihren Eltern wohnen, wurde der monatliche Satz von 860,00 € auf 930,00 € angehoben. Wenn sich nach der Lebensstellung der Eltern ein höherer Bedarf ergibt, kann von dem Mindestbedarf von 930,00 € nach oben abgewichen werden.

Anrechnung Kindergeld

Auf den Bedarf des Kindes ist nach § 1612b BGB das Kindergeld anzurechnen. Im Jahr 2023 beträgt das Kindergeld je Kind einheitlich 250,00 €. Dies bedeutet im Vergleich zum Jahr 2022 für das erste und zweite Kind eine Erhöhung um 31,00 € und für das dritte Kind um 25,00 €. Das Kindergeld ist bei minderjährigen Kindern in der Regel zur Hälfte und bei volljährigen Kindern in vollem Umfang auf den Barunterhaltsanspruch anzurechnen.

Notwendiger und angemessener Selbstbehalt wurde erhöht

Der Selbstbehalt, also der Betrag der dem Unterhaltspflichtigen zu verbleiben hat, damit er seinen eigenen Unterhaltsbedarf bestreiten kann, wurde erhöht. Gegenüber den Ansprüchen minderjähriger Kinder und volljähriger unverheirateter Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, die noch im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden, beträgt der notwendige Selbstbehalt des nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen seit dem 01.01.2023 1.120,00 € (2022: 960,00 €) und des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen 1.370,00 € (2022: 1.160,00 €). Der notwendige Selbstbehalt seit 01.01.2023 beinhaltet Wohnkosten von 520,00 € (2022: 430,00 €). Der Selbstbehalt kann erhöht werden, wenn die Wohnkosten diesen Betrag überschreiten und nicht unangemessen sind.

Bei der Bemessung des notwendigen Selbstbehalts wurde ein Bedarfssatz von 502,00 € entsprechend dem Bürgergeld berücksichtigt.

Der angemessene Selbstbehalt gegenüber sonstigen Ansprüchen auf Kindesunterhalt beträgt seit dem 01.01.2023 1.650,00 € (2022: 1.400,00 €). Im angemessenen Selbstbehalt ab 01.01.2023 von 1.650,00 € sind Wohnkosten von 650,00 € (Warmmiete) enthalten.

Bei Fragen zum Thema Kindesunterhalt stehen Ihnen unsere auf das Familienrecht spezialisierten Anwältinnen mit ihrer langjährigen Erfahrung kompetent zur Verfügung.

Die aktuelle Düsseldorfer Tabelle ist unter folgender Webadresse abrufbar:

www.olg-duesseldorf.nrw.de/infos/Duesseldorfer_Tabelle/Tabelle-2023/Duesseldorfer-Tabelle-2023.pdf


Sportrecht - Saisonende nach Skiunfall – Drohen Manuel Neuer arbeitsrechtliche Konsequenzen?

Sportrecht - Saisonende nach Skiunfall – Drohen Manuel Neuer arbeitsrechtliche Konsequenzen?

Das Internetportal LTO beschäftigte sich mit der Frage, ob ein Profisportler für eine Verletzung sanktioniert werden kann, die er sich in der Freizeit zuzieht. Hierzu wurden die Sportrechtler Christoph Schickhardt und Hans Uwe Richter befragt. Nach Auffassung der beiden Sportrechtsexperten müssen Profisportler keine rechtlichen Konsequenzen durch ihren Club befürchten, wenn sie sich bei einer Tätigkeit verletzen, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem Beruf steht. So gehe es den Arbeitgeber nichts an, was ein Arbeitnehmer im Urlaub macht. Schickhardt erklärte weiter, es habe zwar früher in den Verträgen von Profisportlern Klauseln zum Freizeitverhalten gegeben. Diese seien aber häufig nicht wirksam gewesen. Daher enthält auch der Musterlizenzvertrag, den die deutsche Fußballliga DFL jährlich herausgebe, keine Bestimmungen dieser Art. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer eine Pflicht verletzt hat und somit gegen eine Klausel verstoßen hat. Durch so eine Klausel kann dem Arbeitnehmer untersagt werden, gefährliche Sportarten auszuüben. Hat er aber gegen diese Klausel verstoßen, kann er durch eine Abmahnung oder im schlimmsten Fall durch eine Kündigung sanktioniert werden, sagte Hans Uwe Richter.

Bei Manuel Neuer ist über Vertragsdetails nichts bekannt. Der 36-jährige Nationaltorhüter hatte sich bei einer Ski-Tour den Unterschenkel gebrochen. Auch für Neuer würden die Grundsätze des Arbeitsrechts gelten, da er ein ganz normaler Arbeitnehmer sei wie alle anderen auch. Der FC Bayern München müsse nur dann die Lohnfortzahlung von Neuer nicht übernehmen, wenn Neuer als Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat. Der Arbeitgeber ist gesetzlich dazu verpflichtet, im Krankheitsfall sechs Wochen das Gehalt weiterzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden erkrankt ist. Dies besagt das Entgeltfortzahlungsgesetz. Selbstverschuldet ist die Verletzung bei einer Ski-Tour nur dann, wenn Ski-Touren zu den gefährlichen Sportarten gehören. Dies könne man nach Ansicht der Sportrechtler nicht annehmen. Zu den Risikosportarten gehören laut Schickhardt beispielsweise Apnoe-Tauchen oder Fallschirmspringen.

Auch hier kommt es entscheidend auf die jeweiligen arbeitsrechtlichen und vertraglich vereinbarten Klauseln an. Allerdings ist es bei Profi-Fußballern in Deutschland bisher so, das Skifahren oder Ski-Touren-Gehen nicht zu den Risikosportarten gezählt wird. Bei spezielleren Aktivitäten sollten sich die Sportler jedoch vorher darüber Gedanken machen, welche Risikosportarten in ihrem Arbeitsvertrag untersagt sind, um spätere Komplikationen mit dem Arbeitgeber zu vermeiden.

In unserer auf das Sportrecht spezialisierten Kanzlei stehen wir Ihnen hinsichtlich der Erstellung und Prüfung von sportrechtlich geprägten Arbeitsverträgen kompetent zur Verfügung.


Arbeitsrecht - Aufhebungsvertrag unter Druck

Arbeitsrecht - Aufhebungsvertrag unter Druck

Bei dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages ist grundsätzlich das Gebot des fairen Verhandelns zu beachten, dessen Grundsätze das BAG bereits im Jahr 2019 festgelegt hat (Urteil vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18).

In dem vom BAG zu entscheidenden Fall war eine Teamkoordinatorin Verkauf im Bereich Haustechnik tägig. Gemeinsam mit einem Anwalt hatte der Arbeitgeber der Frau bei einem Gespräch in seinem Büro vorgeworfen, sie habe unberechtigt Einkaufspreise für Waren in der EDV des Unternehmens abgeändert bzw. absprachewidrig vor dem Verkauf reduziert. Der Arbeitgeber und dessen Anwalt hatten bereits einen Aufhebungsvertrag zum Ende des selben Monat vorbereitet, den die Frau nach zehn Minuten unterzeichnete. Die Frau klagte dagegen.

Das BAG jedoch entschied, dass das Gebot des fairen Verhandelns nicht verletzt sei (Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21). Denn selbst wenn der Arbeitgeber den Abschluss des Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig gemacht hätte, was streitig blieb, stelle dies für sich genommen keine Pflichtverletzung gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB dar. Das gelte auch, wenn dem Arbeitnehmer keine Bedenkzeit verbleibe und er auch keinen erbetenen Rechtsrat einholen könne.

Vor Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages hat der Arbeitnehmer in der Regel nicht immer die Möglichkeit, sich vorher rechtlich beraten zu lassen. Man sollte auf jeden Fall versuchen, sich Bedenkzeit einräumen zu lassen und nach Möglichkeit den Aufhebungsvertrag nicht sofort zu unterzeichnen.

Bei Fragen zum Thema Aufhebungsvertrag stehen Ihnen unsere auf das Arbeitsrecht spezialisierten Anwälte kompetent zur Verfügung.


Corona und Arbeitsrecht

Corona und Arbeitsrecht

Im vergangenen Jahr hat die Corona-Pandemie auch das Bundesarbeitsgericht erheblich beschäftigt. Insoweit wollen wir einen kurzen Überblick über die relevantestenn BAG-Urteile geben.

Nach dem BAG gibt es keinen Erschwerniszuschlag für das Tragen einer OP-Maske bei der Arbeit (Urteil vom 20.7.2022 – 10 AZR 41/22).

Anlasslose PCR-Tests von den Beschäftigten der Bayerischen Staatsoper waren rechtmäßig, daher erhielt eine Flötistin keinen Lohn (Urteil vom 01.06.2022 – 5 AZR 28/22).

Hingegen durfte ein Arbeitgeber kein generelles Betretungsverbot für Angestellte aussprechen, die aus einem Risikogebiet zurückkehren. Vielmehr musste er seine Arbeitnehmer bei Vorlage eines negativen PCR-Tests arbeiten lassen (Urteil vom 10.08.2022 – 5 AZR 154/22).

Wer eine Coronaprämie erhalten hat, konnte nach der Entscheidung des BAG, dass sie als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar ist, auch bei einem P-Konto sicher sein, dass diese nicht gepfändet wird. Eine Küchenhilfe, die eine Sonderzahlung in Höhe von 400,00 € erhielt, durfte die Prämie daher trotz eröffneten Insolvenzverfahrens behalten (Urteil vom 25.08.2022 – 8 AZR 14/22).


Arbeitsrecht - Verfall von Urlaub bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit

Arbeitsrecht - Verfall von Urlaub bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit

Im Zusammenhang mit dem Grundsatzurteil des BAG, wonach Urlaubsansprüche bei nicht ordnungsgemäß ausgeübter Hinweispflicht des Arbeitgebers nicht nach drei Jahren verfallen, entschied es auch über den Umgang mit dem Anspruch auf Urlaub bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit (Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 245/19).

Der Urlaubsanspruch verfällt in solchen Fällen auch weiterhin ohne weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres, also innerhalb einer 15-Monatsfrist. Dieser Verfall von Urlaub bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit steht im Einklang mit dem Unionsrecht. Das gilt allerdings nur, wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit durchgängig den Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten konnte. Wenn aber der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist, gilt hingegen der Grundsatz der Hinweispflichten. Dann verfällt der Urlaubsanspruch nur, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Dies folgt wiederum aus der richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz.


Arbeitsrecht – BAG zur Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung – Rentennähe ist berücksichtigungsfähig

Arbeitsrecht – BAG zur Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung – Rentennähe ist berücksichtigungsfähig

 

Sachverhalt

Bei der Klägerin handelte es sich um eine im Jahr 1957 geborene Frau, welche der Insolvenzverwalter ihres Arbeitgebers unter anderem wegen ihrer Rentennähe gekündigt hatte. Sie gehörte zu 61 von knapp 400 Beschäftigten, die auf einer Namensliste zu kündigender Arbeitnehmer standen. Der Insolvenzverwalter vertrat die Ansicht, die Frau sei in ihrer Vergleichsgruppe sozial am wenigsten schutzwürdig (§§ 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG, 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO). Sie hätte die Möglichkeit, zeitnah im Anschluss an das beendete Arbeitsverhältnis eine Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte zu beziehen.

Lebensalter als Kriterium

Vor dem erstinstanzlichen Arbeitsgericht sowie auch vor dem Landesarbeitsgericht Hamm hatte die Frau mit ihrer Kündigungsschutzklage noch Erfolg. Das BAG war anderer Meinung. Der Senat erklärte das Ausfallkriterium Lebensalter für ambivalent. Die soziale Schutzbedürftigkeit nehme wegen schlechterer Arbeitsmarktchancen mit steigendem Lebensalter zu. Sie sinke aber wieder, wenn Arbeitnehmer spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlagsfreien Rente verfügen könnten, erklärten die Erfurter Richter. Die Betriebsparteien hätten bei einer Sozialauswahl damit einen Wertungsspielraum.

Arbeitnehmer, bei welchen der Renteneintritt naheliegt, haben daher bei betriebsbedingten Kündigungen als Folge von Unternehmensinsolvenzen schlechte Chancen. Bei der Gewichtung des Lebensalters kann hierbei zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht (BAG, Urteil vom 08.12.2022 – AZ: 6 AZR 31/22).

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