Familienrecht - BGH zur persönlichen Anhörung des Betroffenen im Verfahren zur Einrichtung einer Betreuung

Familienrecht - BGH zur persönlichen Anhörung des Betroffenen im Verfahren zur Einrichtung einer Betreuung

„Bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Verfahren zur Einrichtung einer Betreuung darf das Betreuungsgericht grundsätzlich nur dann nach § 34 Abs. 3 FamFG verfahren, wenn alle zwanglosen Möglichkeiten, den Betroffenen anzuhören und sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, vergeblich ausgeschöpft sind und die gemäß § 278 Abs. 5-7 FamFG zu Gebote stehende Vorführung des Betroffenen unverhältnismäßig ist.“

BGH, Beschluss vom 29.03.2023 – XII ZB 515/22

Hintergrund

Die 78-jährige Betroffene befand sich infolge einer Hirnblutung und eines Schlaganfalls in einer spastischen Tetraparese, einer spastischen Lähmung aller vier Extremitäten. Bereits im Jahr 2006 hatte sie ihrer Tochter (Beteiligte zu 1.)) und ihrem Enkel (Beteiligter zu 2.)) Vorsorgevollmachten zur jeweils alleinigen Ausübung erteilt. Bis 2021 wurde sie in häuslicher Intensivpflege 24 Stunden täglich im Haus des Enkels durch einen Pflegedienst betreut, wobei auch der Enkel Maßnahmen der Grundpflege übernahm. Am 03.08.2021 erstattete der Pflegedienst eine Strafanzeige gegen den Enkel wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen, laut derer er lebensgefährdende Manipulationen am Beatmungsschlauch vorgenommen haben soll. Am 16.08.2021 wurde die Betroffene durch die vom Amtsgericht zur vorläufigen Betreuerin bestellt, die Beteiligte zu 3.) in eine Intensiv-Wohngemeinschaft verlegt.

Mit Beschluss vom Februar 2022 hat das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, der Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber ihrem / ihrer Bevollmächtigten, Gesundheitssorge, Heimangelegenheiten, Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern eingerichtet und die Beteiligte zu 3.) als Berufsbetreuerin bestimmt. Das Landgericht hat die Beschwerden der Tochter und des Enkels der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Tochter zum BGH.

BGH – Rechtsbeschwerde begründet

Gemäß § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Doch scheidet dies aus, wenn neue Erkenntnisse zu erwarten sind. Das ist dann der Fall, wenn das Beschwerdegericht, wie hier, für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage heranzieht.

Der BGH ist daher der Auffassung, dass das Landgericht die Betroffene persönlich hätte anhören müssen, das seine Entscheidung ausdrücklich auf das im Beschwerdeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten gestützt hat. Das Landgericht durfte von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen nicht mit der Begründung absehen, die Betroffene sei offensichtlich nicht in der Lage, ihren Willen kund zu tun. Zwar befindet sich die Betroffene derzeit in einem Zustand, in dem sie offensichtlich nicht in der Lage ist, ihren Willen kund zu tun. Das macht es jedoch nicht entbehrlich, sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen zu verschaffen, da im erstinstanzlichen Verfahren eine Anhörung lediglich durch den ersuchten Richter und mithin keine unmittelbare Kontaktaufnahme des entscheidenden Gerichts mit der Betroffenen erfolgte. Zudem zog das Landgericht Schlüsse daraus, dass seitens des Pflegeheims regelmäßig beobachtet worden sei, wie die Betroffene auf Besuche der Tochter und deren Lebensgefährten mit Weinen reagiere. Schon aufgrund der herangezogenen Beobachtungen des Pflegeheims hätte das Landgericht nicht davon absehen dürfen, sich selbst einen Eindruck von der Betroffenen und möglichst davon zu verschaffen, wie diese auf ihre Angehörigen reagiert.

Die Entscheidung des BGH stärkt die Rechte der Betroffenen im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers erheblich. Insoweit sind Betroffene grundsätzlich immer persönlich anzuhören.


Gesellschaftsrecht - BGH zur Möglichkeit der Ausschließungsklage in einer Zwei-Personen-GmbH

Gesellschaftsrecht - BGH zur Möglichkeit der Ausschließungsklage in einer Zwei-Personen-GmbH

„1.
Der Gesellschafter einer Zwei-Personen-GmbH kann unter den Voraussetzungen der actio pro socio die Ausschließungsklage gegen den anderen Gesellschafter erheben.

2.
Wird ein Gesellschafter wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes ohne statuarischer Regelung durch Urteil aus der GmbH ausgeschlossen, wird die Ausschließung des betroffenen Gesellschafters bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam und ist nicht durch die Leistung der Abfindung bedingt.“

BGH, Versäumnisurteil vom 11.07.2023 – II ZR 116/21

 

Hintergrund

Kläger und Beklagter sind Gesellschafter einer Nebenintervenientin einer GmbH und an dieser jeweils hälftig beteiligt. Die Satzung der Nebenintervenientin enthält keine Regelung zum Ausschluss eines Gesellschafters oder zur Einziehung von Geschäftsanteilen. Das Stammkapital in Höhe von 25.000,00 € haben die Gesellschafter vollständig eingezahlt. Der Kläger hat beantragt, den Beklagten aus der Nebenintervention auszuschließen und dessen Geschäftsanteil nach Wahl des Klägers entweder gegen Zahlung einer Abfindung einzuziehen oder den Kläger für befugt zu erklären, die Abtretung des Geschäftsanteils an sich, die Gesellschaft oder einen Dritten herbeizuführen. Hilfsweise hat er beantragt, dem Beklagten unter der Bedingung auszuschließen, dass die Gesellschaft innerhalb eines Zeitraums von höchstens sechs Monaten ab Rechtskraft des Urteils an den Beklagten eine im Ermessen des Gerichts liegende Abfindung zu zahlen hat.

LG weist Klage ab

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers und der Nebenintervenientin hat das Berufungsgericht OLG München zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Klageanträge weiterverfolgt.

OLG gibt Klage statt

Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Entscheidung ergeht durch Versäumnisurteil, da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht ordnungsgemäß vertreten war. Sie beruht aber inhaltlich auf einer Sachprüfung.

Der BGH ist der Auffassung, dass der Kläger für die im eigenen Namen erhobene Ausschließungsklage prozessführungsbefugt ist. Prozessführungsbefugnis ist eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens und auch in der Revisionsinstanz vorliegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2017 – II ZR 255/16). Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Ausschließungsklage grundsätzlich von der GmbH zu erheben. Ob in einer Zwei-Personen-GmbH den Gesellschaftern ein Klagerecht zur Ausschließung des jeweils anderen zusteht, konnte der BGH bisher offen lassen. So wurde überwiegend angenommen, dass in einer Zwei-Personen-GmbH jeder Gesellschafter persönlich eine Ausschließungsklage gegen den Mitgesellschafter anstreben kann.

Nach anderer Auffassung besteht kein Bedürfnis für eine vom allgemeinen Grundsatz abweichende unmittelbare Klagebefugnis des ausschließungswilligen Gesellschafters bei einer Zwei-Personen-GmbH (vgl. OLG Nürnberg, BB 1970, 1371). Da über die Erhebung der Ausschließungsklage die Gesellschafterversammlung zu befinden habe und der betroffene Gesellschafter nicht stimmberechtigt sei, bestehe ein praktisches Bedürfnis allenfalls dann, wenn der auszuschließende Gesellschafter zugleich der einzige Geschäftsführer der GmbH sei. Der Gesellschafter einer Zwei-Personen-GmbH kann unter den Voraussetzungen der actio pro socio die Ausschließungsklage erheben. So kann ein Gesellschafter einer GmbH berechtigt sein, einen Mitgesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft in Anspruch zu nehmen, was namentlich dann in Betracht kommt, wenn dieser seine zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht verletzt und durch eine damit verbundene Schädigung des Vermögens der Gesellschaft mittelbar auch dasjenige des klagenden Gesellschafters geschädigt hat. Die Befugnis wurzelt im Gesellschaftsverhältnis und ist Ausschluss des Mitgliedschaftsrechts des Gesellschafters. Die Übertragung der Grundsätze der actio pro socio auf die Ausschließungsklage ist gerechtfertigt. Das Recht auf Ausschließung eines Gesellschafters hat seinen materiellen Grund in der gesellschafterlichen Treuepflicht.

Als Gesellschafter einer Zwei-Personen-GmbH beraten wir Sie kompetent und zielführend, ob und wie Sie gegen den anderen Gesellschafter rechtssicher vorgehen können.


Insolvenzrecht - Anspruch des vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommenen Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin auf Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens

Insolvenzrecht - Anspruch des vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommenen Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin auf Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens

„1.
Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, der sich gegen einen Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. verteidigen will, hat ein berechtigtes Interesse auf Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens.

2.
Im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Auskunftsanspruch ist von der Gerichtsverwaltung das Geheimhaltungsinteresse der Verfahrensbeteiligten gegen das Informationsinteresse des Geschäftsführers abzuwägen.“

Hintergrund

In dem vom OLG zu entscheidenden Fall wurde der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin vom Insolvenzverwalter vor dem Landgericht Heidelberg nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. wegen Zahlungen in Höhe von insgesamt knapp 5,5 Mio. € in Anspruch genommen, die von dem Antragsteller als Geschäftsführer zwischen dem Zeitpunkt der Insolvenzreife im Februar 2014 und dem durch den Antragsteller im März 2014 gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit vorgenommen worden seien.

Der Geschäftsführer der Schuldnerin hat bei dem Antragsgegner Einsicht in die gerichtlichen Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin beantragt, um die von dem Insolvenzverwalter geltend gemachten Ansprüche zu überprüfen. Dem ist der Insolvenzverwalter entgegengetreten. Das Auskunftsrecht des Antragstellers beschränke sich auf die Einsichtnahme in die Buchhaltungsunterlagen des schuldnerischen Unternehmens. Diese Unterlagen seien auch zur Verfügung gestellt worden. Es fehle an einem erforderlichen rechtlichen Interesse an der begehrten Akteneinsicht.

Der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin hat sein rechtliches Interesse dann dahingehend konkretisiert, dass er auf die Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens angewiesen sei, um in Erfahrung zu bringen, ob der Insolvenzverwalter Zahlungen an Gläubiger, wegen derer Ansprüche aus § 64 GmbHG a. F. geltend gemacht werden, erfolgreich gemäß der §§ 129 ff. InsO angefochten habe.

OLG – Anspruch Geschäftsführer besteht

Das OLG Karlsruhe urteilte, dass dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin ein Akteneinsichtsrecht aus § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO zusteht. Eine Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch eines Dritten gemäß § 299 Abs. 2 ZPO stellt einen Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG dar. § 299 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass persönliche Rechte des Antragstellers durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akteneinsicht begehrt wird, berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand für die rechtlichen Belange des Antragstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein.

Nach Ansicht des OLG Karlsruhe liegen diese Voraussetzungen hier vor. Der Antragsteller begehrt Akteneinsicht, um sich gegen einen Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. zu verteidigen. Dieser setzt voraus, dass von der Gemeinschuldnerin nach Eintritt ihrer Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung ihrer Überschuldung Zahlungen geleistet worden sind. Für die Verteidigung kommt es unter anderem maßgeblich darauf an, ob und wann Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin eingetreten ist. Eben diese Zahlungsunfähigkeit ist aber Gegenstand des Insolvenzverfahrens.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.04.2023 – 24 VA 4/22

In unserer interdisziplinären Kanzlei beraten wir insbesondere Geschäftsführer im Umgang mit einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder während eines bestehenden Insolvenzverfahrens.


Insolvenzrecht - Überschuldung bei kurzem rechnerischen Negativsaldo und Verlustdeckungszusage

Insolvenzrecht - Überschuldung bei kurzem rechnerischen Negativsaldo und Verlustdeckungszusage

„1.
Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen eines Unternehmens nicht mehr die bestehenden Verbindlichkeiten deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Dabei sind nicht die fortgeschriebenen Wertansätze der Jahresbilanz als entscheidend zugrunde zu legen, sondern eine Überschuldungsbilanz hat nach eigenen, auf den Zweck der Insolvenzeröffnung zugeschnittenen Bewertungsgrundsätzen, den wahren Wert des Unternehmens zu ermitteln. Legt der Insolvenzverwalter nur eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, hat er jedenfalls die Ansätze dieser Bilanz darauf zu überprüfen und zu erläutern, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind.

2.
Eine Überschuldung ist nicht anzunehmen, wenn eine tatsächliche rechnerische Überschuldung zwar am Bilanzstichtag am Jahresende vorliegt, jedoch zu Beginn des neuen Jahres der Minusbetrag durch eine Zahlung wieder ausgeglichen wird. Denn eine Überschuldung liegt bei einem nur für wenige Tage bestehenden Negativsaldo nicht vor. Bei einer Überschuldung muss es sich um einen zumindest für sechs Wochen andauernden Zustand handeln.

3.
Gegen die Annahme einer Überschuldung spricht auch eine Verlustdeckungszusage des Mutterkonzerns. Eine Pflicht zur Verlustübernahme ergibt sich auch aus einer aus Kontoauszügen hervorgehenden finanziellen Verstrickung an einer sonstigen Abhängigkeit von Schwester und Mutterunternehmen, sodass es sich um einen faktischen Konzern handelt.“

OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.09.2021 – 9 U 11/21

Hintergrund

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A-GmbH. Er nimmt den Beklagten aus Geschäftsführerhaftung wegen Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch. Erstinstanzlich hat der Kläger den Beklagten teilweise gesamtschuldnerisch auf Zahlung von insgesamt 720.758,17 € in Anspruch genommen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Beklagte war faktischer und ab dem 25.01.2010 auch eingetragener Geschäftsführer der Schuldnerin, die auf ihrem im Eigentum der BRD stehenden, von der Firma C-GmbH angemieteten Geschäftsgrundstück einen Handel mit Paraffin betrieb. Für die Lagerung des flüssigen Paraffins in den Tanks war dessen vorherige Erhitzung erforderlich. Die Schuldnerin war Teil eines Konzerns, der neben ihr aus der Muttergesellschaft A-Holding AG und der Schwestergesellschaft A. C. AG, beide mit Sitz in der Schweiz, bestand. Die A-Holding AG war alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin und der A. C. AG. Der Beklagte war Präsident des Verwaltungsrates sowohl der A. C. AG als auch der A-Holding AG und war zu 54 % am Kapital der A-Holding AG beteiligt.

In der Nacht vom 11.06.2009 auf den 12.06.2009 zerstörte ein Großbrand den gesamten Betrieb der Schuldnerin. Die Schuldnerin unterhielt bei der D Versicherungs AG unter anderem eine Betriebshaftpflichtversicherung mit einer Höchstdeckungssumme von 2,5 Million €. Die Versicherung lehnte die Erteilung einer Deckungszusage ab, da seit dem Jahr 2006 als Risiko lediglich die Abwicklung des Handels mit Paraffin zur Kerzenproduktion versichert sei, sich bei dem Brand jedoch das Risiko eines Produktions- oder Veredelungsbetriebs nicht eines Handelsbetriebs verwirklicht habe. Die Schuldnerin nahm nach dem Brand ihren Betrieb nicht wieder auf. Auf den Antrag des Beklagten vom August 2010 wurde im November 2010 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei bereits im Jahr 2008, spätestens aber seit dem Brandereignis im Jahr 2009 überschuldet gewesen. Der Beklagte hat behauptet, die BRD und die Firma C hätten bis zur Stellung des Insolvenzantrags keine konkreten Forderungen wegen der Brandschäden an die Schuldnerin herangetragen. Im Übrigen sei das Risiko durch die Versicherung der Firma C abgedeckt gewesen.

LG weist Klage ab

Das LG hat die auf Zahlung gerichtete Klage abgewiesen, da der Kläger weder die Überschuldung noch eine Zahlung der Schuldnerin zur Überzeugung des Gerichts habe darlegen und beweisen können. Insbesondere sei das Indiz der rechnerischen Überschuldung aufgrund der Fehlbeträge in den Jahren 2008 und 2009 durch die konzerninterne Verlust-Deckungszusage der A-Holding AG gegenüber der Schuldnerin widerlegt. Auch das Brandereignis habe nicht zu einer Überschuldung geführt, da nicht feststellbar sei, dass der BRD durch den Brand tatsächlich Schäden von über 2,5 Million € entstanden wären und Schäden bis zu dieser Höhe von der Versicherung der Schuldnerin gedeckt gewesen seien.

OLG bestätigt Urteil des LG

Nach Ansicht des OLG hat das LG die geltend gemachten Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten aus Geschäftsführerhaftung zurecht zurückgewiesen. Dem Kläger stehen als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin keine Ersatzansprüche gegen den Beklagten aus Geschäftsführerhaftung nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. u. Eine Ersatzpflicht des Beklagten für von ihm veranlasste Zahlungen kommt nach § 64 S. 1 GmbHG in Betracht, wenn diese nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet wurden, ohne dass die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar wären.

Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen wurden vom LG zu Recht verneint. Eine Überschuldung ist also bei kurzem rechnerischen Negativsaldo und Verlustdeckungsanzeige noch nicht gegeben.

Als Geschäftsführer einer GmbH ist es immens wichtig, die Zeichen einer sich anbahnenden finanziellen Krise zu erkennen und umgehend Gegenmaßnahmen einzuleiten.


Insolvenzrecht - Schadensersatzpflicht des Unternehmensberaters gegenüber dem Geschäftsführer der beauftragenden GmbH wegen Pflichtverletzung bei Sanierungsbegutachtung

Insolvenzrecht - Schadensersatzpflicht des Unternehmensberaters gegenüber dem Geschäftsführer der beauftragenden GmbH wegen Pflichtverletzung bei Sanierungsbegutachtung

Im Rahmen einer Sanierungsbegutachtung nach IDWS6-Standard gehört es zu den Kernanforderungen an den Gutachter, in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen Eilmaßnahmen anzuhalten. Ein Verweis des Gutachters auf die Nichterbringung von Rechts- und Steuerberaterleistungen, weil der beauftragte Gutachter weder Rechtsanwalt noch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ist, befreit diesen nicht von den zur Erfüllung der Pflicht nach IDWS6 zu treffenden Feststellungen zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Der Geschäftsführer kommt aufgrund § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. mit der Frage der Insolvenzreife der GmbH in gleicher Weise in Berührung wie die GmbH als Auftraggeber selbst, weshalb der Begutachtungsvertrag nach IDWS6-Standard Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers entfaltet.

OLG Bamberg, Urteil vom 31.07.2023 – 2 U 38/22.

 

Hintergrund

Die Parteien streiten über Ansprüche wegen Pflichtverletzung aus einem Sanierungsberatervertrag. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der B-GmbH. Diese gehörte zusammen mit der X-GmbH und der Y-GmbH zur X-Firmengruppe. Geschäftsführer der B war Herr H. Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der D-GmbH. Diese beriet kleine und mittlere Unternehmen in Krisensituationen. Im Frühjahr 2013 befand sich die X in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Auf Initiative eines Kreditgebers sollten die wirtschaftlichen Fortführungsmöglichkeiten der X durch eine externe Begutachtung festgestellt werden. Hierzu legte die D im April 2013 zunächst eine Projektskizze vor betreffend die Erstellung eines Sanierungsgutachtens in Anlehnung an den IDWS6-Standard. Auf der letzten Seite der Projektskizze befindet sich unmittelbar über den Unterschriften folgende Bestimmung:

„Die D erbringt keine Rechts- oder Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsleistungen. Sie wird alles unternehmen, um die beschriebenen Aufgaben erfolgreich zu erfüllen und haftet für vorsätzliche und grobe Fahrlässigkeit ihrer Berater für Vermögensschäden bis zu einer Höhe von 1 Million €. Die D verpflichtet sich, alle Informationen über den Auftraggeber und dessen Unternehmen, von denen die Berater im Rahmen des Projekts Kenntnis erhalten, streng vertraulich zu behandeln.“

Die B-GmbH beauftragte die D daraufhin am 06.05.2013 mit der Erstellung eines Sanierungsgutachtens entsprechend dem in der Projektskizze vom 25.04.2013 beschriebenen Auftragsumfang. Aufgrund des Eigenantrags der B vom 13.03.2014 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Insolvenzgericht Neubrandenburg vom 16.04.2014 nichtsdestotrotz das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger war der Auffassung, dass der Geschäftsführer H gemäß § 64 S. 1 GmbHG a. F. zum Ersatz masseschmälernder Zahlungen verpflichtet sei, welche die B in den Monaten Januar und Februar 2014 geleistet habe, da die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig gewesen sei. Die D habe es versäumt, auf die Insolvenzreife der B hinzuweisen, obwohl sie hierzu bei einem Sanierungsgutachtens nach IDWS6-Standard verpflichtet gewesen sei. Der Vertrag über das Sanierungsgutachten entfaltet Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers, der über § 64 GmbHG a. F. von der zu prüfenden Insolvenzreife in gleicher Weise betroffen sei wie die Gesellschaft selbst.

LG weist Klage ab

Mit am 19.07.2022 verkündetem Endurteil hat das LG die Klage abgewiesen. In der Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass es bereits an einer Einbeziehung des Geschäftsführers H in den Schutzbereich des zwischen der D und der B geschlossenen Beratungsvertrages fehle. Die vertraglich geschuldete Fortbestehens- und Fortführungsprognose habe allein den wirtschaftlichen Interessen der B gedient.

OLG – Kläger steht 50 %iger Zahlungsanspruch zu

Das OLG urteilte, dass die zulässige Berufung teilweise begründet ist. Dem Kläger steht aus abgetretenem Recht unter Berücksichtigung eines Anspruchs kürzenden Mitverschuldens des Geschäftsführers der B von 50 % ein Zahlungsanspruch gemäß der §§ 280 Abs. 1, 611, 675, 398 BGB zu. Mit dem zwischen der B und der D mit Auftragserteilung vom 06.05.2013 geschlossenen Sanierungsberatungsvertrag wurde das vollständige Leistungsspektrum nach dem Standard IDWS6 beauftragt. Eine hiervon abweichende und abschließende Vereinbarung durch die D zu erbringender Leistungen besteht nicht. Grundlage des Vertrages war die Projektskizze aus dem April 2013. In der Überschrift der Projektskizze ist angeführt, dass die Fertigung des Gutachtens in Anlehnung an den IDWS6-Standard erfolgt. Insoweit ist durch den Sanierungsgutachter der Hinweis auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit in einer Form geschuldet, die es dem Auftraggeber ermöglicht, die gebotenen rechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Der Sanierungsgutachter hat danach den Eintritt der Insolvenzreife im Zeitraum bis zur Fertigstellung des Gutachtens auszuschließen. Für den Gutachter selbst gilt, dass er die Begutachtung zu beenden oder zu versagen hat, sobald für ihn erkennbar wird, dass eine Insolvenzantragspflicht bereits vorliegt und dennoch eine außergerichtliche Sanierung noch versucht werden soll.

Eine Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB der D ist gegeben. Sie hat nicht in der vertraglich geschuldeten Form auf eine bei Vorlage des Gutachtens am 29.07.2013 bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit der B hingewiesen. Der Vertrag zwischen der B und der D über die Erbringung von Leistungen der Sanierungsberatung entfaltet Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers der B. Gegen den Geschäftsführer der B bestehen daher aufgrund masseschmälernder Leistungen gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. die geltend gemachten Ansprüche. Die im unterlassenen Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit begründete Pflichtverletzung der D war auch kausal für den eingetretenen Schaden.

Die Entscheidung des OLG Bamberg konkretisiert die Pflichten von Unternehmensberatern im Rahmen einer Sanierungsbegutachtung. Kernanforderungen an den Gutachter sind insbesondere in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen Maßnahmen anzuhalten.


Insolvenz verschiedener Gesellschaften der Immobilien Project Gruppe - Bauträgerinsolvenz

Insolvenz verschiedener Gesellschaften der Immobilien Project Gruppe - Bauträgerinsolvenz

1.
Mehrere Gesellschaften Immobilien Project Gruppe haben im August 2023 Insolvenz angemeldet.

Unter anderem handelt es sich hierbei um die Project Real Estate AG, die Project Immobilien Projektentwicklungs GmbH (PEG), die Project Immobilien Wohnen und Gewerbe GmbH (PWG), und die Project Immobilien Management GmbH (PMG).

Darüber hinaus liegt auch ein Insolvenzantrag der Project Real Estate Institution GmbH und der Project Vermittlungs GmbH vor.

Für sämtliche der vorgenannten Gesellschaften der Project Gruppe wurden vorläufige Insolvenzverwalter bestellt. Diese verschaffen sich seit der Insolvenzantragsstellung einen Überblick über die betroffenen Sachverhalte, insbesondere über die betroffenen Bauprojekte etc.

Die ersten Betroffenen erhielten auch bereits ein Schreiben der mit der vorläufigen Insolvenzverwaltung beauftragten Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH nebst der Mitteilung, der Sachverhalt werde derzeit geprüft.

2.
In der Zwischenzeit haben auch 56 der 118 Projektgesellschaften einen Insolvenzantrag gestellt.

Bei 33 dieser Projektgesellschaften sind die Bauprojekte noch nicht (final) abgeschlossen. Gemäß der Pressemitteilung der Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH handelt es sich hierbei um die Folgenden (Stand 31.08.2023):

PROJECT PG Am Borsigturm 74 Berlin GmbH & Co. KG – „MACHWERK74“
PROJECT PW Albrechtstraße 87 Berlin GmbH & Co. KG – „DAS ALBRECHT“
PROJECT PW Berner Str. 9 Berlin GmbH & Co. KG – „Schweizer Park Wohnen“
PROJECT PW Bilker Allee 233 Düsseldorf GmbH & Co. KG – „Das Bilkster Wohnen“
PROJECT PW Brückenstr. Hohen Neuendorf GmbH & Co. KG – „Bergfelde Living“
PROJECT PW Bleichertwiete 10-16 Hamburg GmbH & Co.KG – „Die Bleichertwiete“
PROJECT PW Baruther Str. 5 Berlin GmbH & Co. KG – „Kreuzberg No. 5“
PROJECT PW Eschollbrücker Str. 12 Darmstadt GmbH & Co. KG – „HERZOGHÖFE“
PROJECT PW Euckenstr. 27 München GmbH & Co. KG
PROJECT PW Frankenallee 98-102 Frankfurt GmbH & Co. KG
PROJECT PW Goslarer Ufer 1-5 Berlin GmbH & Co. KG
PROJECT PW Hanauer Landstr. 57 Frankfurt GmbH & Co. KG – „FIFTYSEVEN“
PROJECT PW Hauptstraße 80-81 Berlin GmbH & Co. KG
PROJECT PW Hönower Straße 4-7 Berlin GmbH & Co. KG – „KARL IM GLÜCK“
PROJECT PW Haydnstraße 11 Hamburg GmbH & Co. KG – „BAHRENGOLD“
PROJECT PW Maximilianstr. 43 Nürnberg GmbH & Co. KG – „MAX.life“
PROJECT PG Am Mühlenberg Potsdam GmbH & Co. KG – „H-LAB“
PROJECT PW Mahlsdorfer Str. 7-8 Berlin GmbH & Co. KG – „Copenic 7“
PROJECT PW Ostendstraße 161 Nürnberg GmbH & Co. KG – „EAST SIDE“
PROJECT PW Provinzstr. 67/68 Berlin GmbH & Co. KG – „MEIN PANKOW“
PROJECT PW Rudower Chaussee 34 Berlin GmbH & Co. KG – „RC34“
PROJECT PW Rembrandtstraße 20-21 Berlin GmbH & Co. KG – „Studio Living Berlin B.3“
PROJECT PW Rahlstedter Str. 169 Hamburg GmbH & Co. KG – „MITTE RAHLSTEDT“
PROJECT PW Rosenthaler Weg 50, 54 Berlin GmbH & Co. KG – „Vive la Rose“
PROJECT PW Segeberger Chaussee 124, 126 Norderstedt GmbH & Co. KG – „NORDER LIVING“
PROJECT PW Schleißheimer Str. 321 München GmbH & Co. KG – „Das Bertholds“
PROJECT PW Sellhopsweg 3-11 Hamburg GmbH & Co. KG – „SellhopsGärten“
PROJECT PW Semmelweisstr. 41-47 Berlin GmbH & Co. KG – „Parkquartier Altglienicke“
PROJECT PW Sundgauer Str. Berlin GmbH & Co. KG
PROJECT PW Schillerpromenade 2 Hohen Neudorf GmbH & Co. KG- „Schiller & Havel“
PROJECT PG Tempelhofer Damm 156 Berlin GmbH & Co. KG – „Cubus 156“
PROJECT PW Varziner Str. 16/17 Berlin GmbH & Co. KG – „Maison VIKTORIA“
PROJECT PW Wiesenstraße 11 Berlin GmbH & Co. KG – „Studio Living Berlin B.2“

2.
Gleichwohl der noch andauernden Prüfung der vorläufigen Insolvenzverwalter über die weitere Vorgehensweise und der komplexen Sachverhalte fragen sich selbstverständlich alle Betroffenen wie es nun weiter geht.

Die Bauprojekte stehen derzeit still. Die Finanzierungsdarlehen der Betroffenen haben allerdings zum großen Teil bereits zu laufen begonnen und laufen uneingeschränkt weiter.

Das voranstehende Ziel: Die größtmögliche Schadensbegrenzung.

Die weitere Vorgehensweise und ob die noch nicht fertig gestellten Bauprojekte der Project Immobilien Gruppe fertig gestellt werden (können) hängt zunächst davon ab,

– ob über das Vermögen der jeweiligen Gesellschaften tatsächlich ein Insolvenzverfahren eröffnet wird,
– welche tatsächlichen finanziellen Situationen bei den jeweiligen Gesellschaften vorliegen,
– inwieweit die einzelnen Bauvorhaben bereits fortgeschritten sind und
– ob der Insolvenzverwalter die Erfüllung oder Nichterfüllung des Vertrages wählt (§ 103 InsO).

Wählt der Insolvenzverwalter die Nichterfüllung des Vertrages, so sind die (Schadenersatz)Ansprüche der jeweiligen Betroffenen aufgrund der Nichterfüllung der werkvertraglichen Leistung (der weiteren Herstellung des Werkes) sowie die Schadenersatzforderungen aufgrund erfolgter Überzahlung zur Insolvenztabelle anzumelden. Sollte zu diesem Zeitpunkt zudem bereits eine sogenannte Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen sein, so hat der Erwerber auch einen Anspruch auf Übereignung des Objekts zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung.

Sollte der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages wählen, so verbleibt es bei den bisherigen vertraglichen Verpflichtungen und Regelungen der Vertragsparteien. Die Verpflichtungen der Insolvenzschuldnerin aus dem Bauträgervertrag sowie die Gewährleistungsansprüche stellen sich dann als sogenannte Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 InsO dar.

Dies vorab stellen sich weiterhin rechtlichen Fragen im Hinblick auf die bestehenden Darlehensverträge mit den finanzierenden Banken sowie deren Fortlauf.

Darüber hinaus sind die sich aus dem Vertrag ergebenden Kündigungsmöglichkeiten und deren Konsequenzen – beispielhaft der Verlust der Wirkung der Auflassungsvormerkung – zu prüfen, sollte dies von den Betroffenen in Erwägung gezogen werden.

3.
Aufgrund der unterschiedlich betroffenen Gesellschaften, der verschiedenen Bauträger- sowie Darlehensverträge, dem unterschiedlichen Baufortschritt sowie finanziellen Gegebenheiten, empfiehlt sich stets eine Einzelfallbetrachtung und – abwägung, um Ihre Interessen vollumfänglich wahrnehmen zu können.

Bei Fragen rund um die Folgen der Insolvenz der Project Immobilien Gruppe sowie der rechtlichen Durchsetzung der Ihnen in diesem Zusammenhang bestehenden Ansprüche etc., stehen wir Ihnen als auf das Insolvenzrecht spezialisierte Kanzlei jederzeit gerne zur Verfügung.

Abschließend dürfen darauf hinweisen, dass der vorgenannte Blogeintrag lediglich einen Abriss der rechtlichen Thematik und Problematik darstellt.


Neue Chance für Dieselfahrer – Kehrtwende des BGH

Neue Chance für Dieselfahrer – Kehrtwende des BGH

Die Karlsruher Richter entschieden, dass Thermofenster in Dieselmotoren eine illegale Abschalteinrichtung sind. Geschädigte können nun Schadensersatz wegen Fahrlässigkeit und nicht nur aus vorsätzlicher sittenwidriger Täuschung geltend machen.

Nach fast acht Jahren nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals hat der BGH nun die Hürden für Schadensersatzansprüche erheblich gesenkt. So reicht es im Zusammenhang mit dem so genannten Thermofenster bereits aus, dass der Autohersteller fahrlässig handelt und nicht, wie bisher vorausgesetzt, vorsätzlich sittenwidrig. Dies stellt eine erhebliche Kehrtwende des BGH in seiner äußerst restriktiven Rechtsprechung in den Dieselfällen dar. Bisher gestand er den Käufern nur bei vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung einen Ausgleich zu, also etwa bei einer Manipulation des Motors durch eine Betrugssoftware, die den Prüfstandsbetrieb erkennen und den Schadstoffausgleich gezielt herunterriegeln konnte. Davon gingen die Gerichte bisher nur beim VW-Motor EA189 aus, nicht aber bei dem in vielen Modellen eingebauten Thermofenstern. In solchen in vielen Varianten existierenden Thermofenstern dienen meist dem Schutz des Motors. Bei bestimmten Außentemperaturen schalten sie die Abgasreinigung aus.

Auslöser der Kehrtwende war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Frühjahr, der eindringlich gemahnt hatte, dass die nationalen Rechtsvorschriften es nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, für den dem Käufer entstandenen Schaden einen angemessenen Ersatz zu erhalten. So stufte der EuGH die EU-Regeln zur Typengenehmigung als Schutzgesetz zu Gunsten der Käufer ein und nicht als eine lediglich allgemein verbindliche Regel. Bei der Verletzung solcher Schutzgesetze genügt für einen Schadensersatzanspruch nach deutschem Recht bereits das fahrlässige Handeln der Hersteller, was es den Käufern sehr viel leichter machen dürfte, Schadensersatz durchzuziehen, als nach den bisher geltenden, auf Vorsatz pochenden Vorgaben der Karlsruher Richter. Der Anspruch auf Schadensersatz kann nun leichter begründet werden. Ein Automatismus ist aber natürlich nicht geschaffen worden. Angesichts der Vielzahl technischer Varianten dürfte nun vor den unteren Instanzen vor allem darüber gestritten werden, ob das jeweilige Thermofenster wirklich eine illegale Abschalteinrichtung ist oder nicht.

Der EuGH hatte bereits im vergangenen Jahr auch hier eine verbraucherfreundliche Linie vorgegeben. Grundsätzlich seien Thermofenster als illegale Abschalteinrichtungen einzustufen. Das gelte insbesondere dann, wenn sie die Abgasrückführung bereits bei in Europa üblichen Temperaturen von unter 15°C herunterregelten. Daran ändere der Umstand nichts, dass dadurch Anbauteile wie das Abgasrückführventil und der Dieselpartikelfilter geschont würden. Nur wenn das Thermofenster ausschließlich zur Vermeidung gravierender Motorschäden oder Unfallgefahren diene, könnte es zulässig sein.

Nach dem Urteil des BGH können viele Käufer auf Schadensersatz hoffen. Einen Anspruch auf Schadensersatz besteht laut den Karlsruher Richtern in Höhe von mindestens 5 und höchstens 15 % des Kaufpreises. Anrechenbar sind allerdings die Nutzungsvorteile, also die gefahrenen Kilometer. Immerhin hat der BGH noch einmal deutlich gemacht, dass die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist und die Autohersteller ihren fehlenden Vorsatz und die fehlende Fahrlässigkeit darlegen und beweisen müssen. Es bleibt spannend, wie sich nun die weiteren unterinstanzlichen Gerichte zum Thema Verbotsirrtum positionieren werden. Von einer Rechtssicherheit ist man also noch weit entfernt. Von dem her ist auch das übermäßige Werben mit den neuen Möglichkeiten eher als Werbestrategie statt als realistische Darstellung von Erfolgschancen einzuordnen. Andererseits zeigen sich auch die Autohersteller, etwa die VW-Anwälte, in gewohnter Manier realitätsblind. Dort hält man trotz klar gegenläufiger Rechtsprechung sogar weiterhin an dem Standpunkt fest, dass Thermofenster legal seien.

Der Dieselskandal geht also in die nächste Runde.

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Arbeitsrecht - LAG Niedersachsen zum Beweiswert einer Krankschreibung - Krankmeldungen nach Kündigung sind für sich genommen noch nicht verdächtig

Arbeitsrecht - LAG Niedersachsen zum Beweiswert einer Krankschreibung - Krankmeldungen nach Kündigung sind für sich genommen noch nicht verdächtig

Nur weil ein Arbeitnehmer sich am Tag einer Kündigung krankgemeldet hat, ist der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch nicht erschüttert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Arbeitnehmer am Tag nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses in anderer Position wieder tätig wurde. Das hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in einem jetzt bekannt gewordenen Fall entschieden (Urteil vom 08.03.2023 – 8 Sa 859/22).

In dem zu entscheidenden Fall hat der klagende Mann bei einer Zeitarbeitsfirma gearbeitet und war einige Wochen nicht eingesetzt worden. Er hatte sich später mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krankgemeldet. Einen Tag später ging ihm die Kündigung zum Monatsende zu. In der Folge legte der beklagte Arbeitnehmer zwei weitere ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die ihn exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses als krankgeschrieben auswiesen. Der beklagte Arbeitgeber hatte Zweifel an der Echtheit der Erkrankung und verweigerte die Lohnfortzahlung.

Zu Unrecht entschied das LAG. Einer ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Auf die Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21) zum Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. dessen Erschütterung könne sich der beklagte Arbeitgeber in diesem Fall nicht berufen. Der fünfte Senat des BAG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Beweiswert einer AU insbesondere dann erschüttert sein kann, wenn ein Arbeitnehmer am Tag der eigenen Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (sogenannte zeitliche Koinzidenz).

Das LAG bewertete die Situation in wesentlichen Punkten anders. So sei die Krankschreibung des klagenden Mannes der Kündigung durch den beklagten Arbeitgeber zeitlich vorausgegangen. Der Arbeitnehmer könne also nicht durch die Kündigung zur Krankmeldung motiviert worden sein, so das LAG. Außerdem habe es insgesamt drei Bescheinigungen über die auch dargelegten Erkrankungen gegeben und nicht eine einzige, die exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses datierte. Entsprechend würde auch der Umstand, dass der klagende Mann gerade einen Tag nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses wieder arbeitsfähig war und woanders zu arbeiten begonnen hat, aus Sicht der Richter für eine Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht aus. Die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache wurde zugelassen. Denn das BAG hatte in seiner Rechtsprechung noch nicht hinlänglich geklärt, unter welchen Umständen konkret der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wird. Womöglich spielt es doch eine Rolle, dass der Mann passend zu Beginn der neuen Tätigkeit offenbar wieder genesen war. Es bleibe daher abzuwarten, ob das BAG seine Rechtsprechung entsprechend schärft, so das LAG.

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Schadensrecht - OLG Oldenburg zur Haftung beim Hauskauf - unbemerkter Marderschaden im Dachstuhl

Schadensrecht - OLG Oldenburg zur Haftung beim Hauskauf - unbemerkter Marderschaden im Dachstuhl

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in einer am Montag veröffentlichten Entscheidung klargemacht, dass derjenige, der zwar wusste, dass es in der Vergangenheit Marder im Haus gab, beim Verkauf des Hauses nicht für später bemerkte Marderschäden haftet (Hinweisbeschluss vom 07.03.2023 – 12 U 130/22).

In vielen Kaufverträgen über Immobilien gibt es eine Klausel, wonach die Verkäufer nicht für Mängel am Haus haften. Stattdessen wird das Haus von den Käufern genau besichtigt, und dann wie gesehen gekauft. Grenze dafür ist nach § 444 BGB das arglistige Verschweigen von Mängeln. Wann ein solches vorliegt, ist häufig strittig. So nun auch vor dem OLG, welches über einen Hauskauf im Landkreis Friesland zu entscheiden hatte.

In dem zu entscheidenden Fall hat eine Frau ein Haus gekauft und sechs Monate später bei den Renovierungsarbeiten bemerkt, dass die Wärmedämmung des Daches beschädigt war. Die Hauskäuferin ließ einen Gutachter kommen, der feststellte, dass in der Vergangenheit mehrere Marder auf dem Dachboden gelebt haben. Dadurch sei es zu erheblichen Geräuschen und Ansammlungen von Kot gekommen und auch die Schäden an der Dämmung des Daches seien von den Mardern verursacht worden.

Die Käuferin verlangte daher vom Verkäufer des Hauses Schadensersatz. Dieser sah sich aber nicht in der Haftung, da er von den Mardern nichts gewusst habe. Das Landgericht glaubt dem Mann und gab ihm Recht. Das bestätigte nun auch das OLG, da dem beklagten Verkäufer ein arglistiges Verschweigen der Marder und der damit verbundenen Schäden nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne. Zwar sei der Verkäufer seinerseits vom vorherigen Eigentümer auf den Marderbefall hingewiesen worden. Selbst habe er aber nur zwei Jahre in dem Haus gelebt, sodass es durchaus vorstellbar sei, dass der beklagte Verkäufer die Marder in dieser Zeit nicht bemerkt habe. Der Befall könne auch durchaus länger zurückliegen. Eine Aufklärungspflicht habe daher für ihn hinsichtlich der Marder aufgrund dieser Unkenntnis nicht bestanden, weswegen sich der Mann auch nicht habe arglistig verhalten können.

Die Käuferin hat damit die für die Beseitigung der Marderschäden selbst zu tragen.

Die Entscheidung macht deutlich, wie essenziell notwendig es ist, vor dem Immobilienkauf die Immobilie ausreichend zu besichtigen und zu prüfen. Bei möglichen Schäden und der Prüfung, wer für diese Schäden haftet, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.


Dieselskandal - BGH tendiert zum Schadensersatz bei Thermofenstern

Dieselskandal - BGH tendiert zum Schadensersatz bei Thermofenstern

Die Karlsruher Richter beschäftigten sich vergangenen Montag erneut mit der Thematik, ob der Einbau von Thermofenstern eine Schadensersatzpflicht begründet.

Thermofenster schalten bei in Deutschland durchschnittlichen Temperaturen die Abgasreinigung herunter. Hierin erkannten die Karlsruher Richter in früherer Rechtsprechung im Gegensatz zur Prüfstandserkennung im VW-Skandalmotor EA189 keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Auch einer Schadensersatzhaftung aufgrund von Fahrlässigkeit erteilte der BGH eine Absage. Da der EuGH eine solche Haftung aber im Grundsatz bejahte, musste der BGH erneut verhandeln.

In der Verhandlung vom Montag ließ der BGH durchblicken, dass Käufern von Dieselautos mit illegalem Thermofenster ein Schadensersatzanspruch zuzusprechen ist, der allerdings anders als im berühmten VW-Urteil aus dem Jahr 2020 nicht auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtet ist, sondern auf den Ersatz einer Art Vertrauensschaden. Dieser könnte auf den etwaigen Minderwert des Dieselautos im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellen.

Das wäre eine Art Differenzhypothesen-Vertrauens-Schadensersatz. Leider haben wir dafür noch keinen besseren Namen, so die Vorsitzende Richterin des VI. a) des Zivilsenats des BGH Dr. Eva Menges in der mündlichen Verhandlung am Montag. Sie sprach mehrfach von mittlerem Schadensersatz, wollte den möglichen Anspruch gerade nicht als kleinen Schadensersatz verstanden wissen. Der Anspruch liefe wohl auf die Wertdifferenz zwischen einem funktionsfähigen Auto ohne unzulässige Abschalteinrichtung und dem tatsächlich erhaltenen Auto mit der Abschalteinrichtung hinaus. Wie sich der Schaden konkret berechnen sollte, ist nicht klar. Vor allem die wertmäßige Berechnung eines Autos mit illegaler Abschalteinrichtung dürfte Gerichte vor große Herausforderungen stellen, warfen die Anwälte auf Klägerseite ein.

Im Falle des Schadensersatzes wegen des Skandalmotors EA189 gingen die Karlsruher Richter von einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung gemäß § 826 BGB aus und sprachen den sogenannten großen Schadensersatz zu, d. h., der Vertrag wurde rückabgewickelt und die Käufer erhielten den Kaufpreis abzüglich Nutzungsersatz zurück. Im Gegenzug mussten sie hie für das Auto zurückgeben. Dieser große Schadensersatz soll bei illegalen Abschalteinrichtungen durch Thermofenster anscheinend nicht gewährt werden. Es soll auf den Minderwert abgestellt werden.

Der BGH machte auch deutlich, dass er die Vorgaben des EuGH beachten wolle, so soll deutsches Recht so ausgelegt werden, dass es den Drittschutz von Zulassungsvorschriften anerkennt, also annimmt, dass diese auch Einzelinteressen von Käufern dienen. Nur so ist eine deliktische Haftung wegen bloßer Fahrlässigkeit im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzgesetzen möglich. Die Annahme des Drittschutzes auch nationaler Zulassungsvorschriften seien weder eine europarechtsfreundliche Rechtsprechung (effet utile) möglich und nicht contra legem, widerspräche also nicht geltendem Recht, so Dr. Menges.

Die Senatsvorsitzende betonte mehrfach, sich noch nicht festgelegt zu haben. Die Sympathien des Senats für einen mittleren Weg zwischen großen Schadensersatz und Ersatz nur von tatsächlich eintretenden Spätschäden waren jedoch deutlich spürbar.

Die Urteilsverkündung wurde auf den 26. Juni 2023 terminiert.

Mit unserer langjährigen Erfahrung auf dem Gebiet des Dieselskandals stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Die neue Rechtsauffassung des EuGH und des BGH eröffnen doch noch den Weg für Schadensersatz bei unzulässig eingebauten Thermofenstern.