Neue Chance für Dieselfahrer – Kehrtwende des BGH
Die Karlsruher Richter entschieden, dass Thermofenster in Dieselmotoren eine illegale Abschalteinrichtung sind. Geschädigte können nun Schadensersatz wegen Fahrlässigkeit und nicht nur aus vorsätzlicher sittenwidriger Täuschung geltend machen.
Nach fast acht Jahren nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals hat der BGH nun die Hürden für Schadensersatzansprüche erheblich gesenkt. So reicht es im Zusammenhang mit dem so genannten Thermofenster bereits aus, dass der Autohersteller fahrlässig handelt und nicht, wie bisher vorausgesetzt, vorsätzlich sittenwidrig. Dies stellt eine erhebliche Kehrtwende des BGH in seiner äußerst restriktiven Rechtsprechung in den Dieselfällen dar. Bisher gestand er den Käufern nur bei vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung einen Ausgleich zu, also etwa bei einer Manipulation des Motors durch eine Betrugssoftware, die den Prüfstandsbetrieb erkennen und den Schadstoffausgleich gezielt herunterriegeln konnte. Davon gingen die Gerichte bisher nur beim VW-Motor EA189 aus, nicht aber bei dem in vielen Modellen eingebauten Thermofenstern. In solchen in vielen Varianten existierenden Thermofenstern dienen meist dem Schutz des Motors. Bei bestimmten Außentemperaturen schalten sie die Abgasreinigung aus.
Auslöser der Kehrtwende war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Frühjahr, der eindringlich gemahnt hatte, dass die nationalen Rechtsvorschriften es nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, für den dem Käufer entstandenen Schaden einen angemessenen Ersatz zu erhalten. So stufte der EuGH die EU-Regeln zur Typengenehmigung als Schutzgesetz zu Gunsten der Käufer ein und nicht als eine lediglich allgemein verbindliche Regel. Bei der Verletzung solcher Schutzgesetze genügt für einen Schadensersatzanspruch nach deutschem Recht bereits das fahrlässige Handeln der Hersteller, was es den Käufern sehr viel leichter machen dürfte, Schadensersatz durchzuziehen, als nach den bisher geltenden, auf Vorsatz pochenden Vorgaben der Karlsruher Richter. Der Anspruch auf Schadensersatz kann nun leichter begründet werden. Ein Automatismus ist aber natürlich nicht geschaffen worden. Angesichts der Vielzahl technischer Varianten dürfte nun vor den unteren Instanzen vor allem darüber gestritten werden, ob das jeweilige Thermofenster wirklich eine illegale Abschalteinrichtung ist oder nicht.
Der EuGH hatte bereits im vergangenen Jahr auch hier eine verbraucherfreundliche Linie vorgegeben. Grundsätzlich seien Thermofenster als illegale Abschalteinrichtungen einzustufen. Das gelte insbesondere dann, wenn sie die Abgasrückführung bereits bei in Europa üblichen Temperaturen von unter 15°C herunterregelten. Daran ändere der Umstand nichts, dass dadurch Anbauteile wie das Abgasrückführventil und der Dieselpartikelfilter geschont würden. Nur wenn das Thermofenster ausschließlich zur Vermeidung gravierender Motorschäden oder Unfallgefahren diene, könnte es zulässig sein.
Nach dem Urteil des BGH können viele Käufer auf Schadensersatz hoffen. Einen Anspruch auf Schadensersatz besteht laut den Karlsruher Richtern in Höhe von mindestens 5 und höchstens 15 % des Kaufpreises. Anrechenbar sind allerdings die Nutzungsvorteile, also die gefahrenen Kilometer. Immerhin hat der BGH noch einmal deutlich gemacht, dass die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist und die Autohersteller ihren fehlenden Vorsatz und die fehlende Fahrlässigkeit darlegen und beweisen müssen. Es bleibt spannend, wie sich nun die weiteren unterinstanzlichen Gerichte zum Thema Verbotsirrtum positionieren werden. Von einer Rechtssicherheit ist man also noch weit entfernt. Von dem her ist auch das übermäßige Werben mit den neuen Möglichkeiten eher als Werbestrategie statt als realistische Darstellung von Erfolgschancen einzuordnen. Andererseits zeigen sich auch die Autohersteller, etwa die VW-Anwälte, in gewohnter Manier realitätsblind. Dort hält man trotz klar gegenläufiger Rechtsprechung sogar weiterhin an dem Standpunkt fest, dass Thermofenster legal seien.
Der Dieselskandal geht also in die nächste Runde.
Mit unserer langjährigen Erfahrung auf dem Gebiet des Abgasskandals stehen wir Ihnen bei sämtlichen Fragen kompetent zur Verfügung.