BGH zur Insolvenzanfechtung im Schneeballsystem
Am 11.10.2021 findet vor dem BGH in Karlsruhe die Hauptverhandlung in dem Strafverfahren über die Strafbarkeit der Verantwortlichen der Infinus Gruppe wegen Banden- und gewerbsmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Kapitalanlagebetrug statt. Eine Gesellschaft dieser Infinus Gruppe war die Prosabus KG, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Insolvenzverwalter focht Ausschüttungen im Rahmen eines Schneeballsystems nach § 134 InsO an. Dass dies kein leichtes Unterfangen war und auf welche rechtlichen Hindernisse er dabei gestoßen ist, lässt sich der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie auch Entscheidungen des BGH entnehmen.
Hintergrund
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Prosabus KG, deren alleiniger Vorstand Jörg B. gewesen ist. Die Schuldnerin war zusammen mit anderen Gesellschaften der sogenannten Infinus Gruppe auf dem unregulierten Kapitalmarkt tätig. Die von dem Insolvenzverwalter Beklagten bezeichneten jeweils Genussrechte, die in den AGB zugrunde lagen, wonach Genussrechtsinhabern unter bestimmten Bedingungen und abhängig von Jahresüberschüssen jährlich eine Basisdividende und eine Übergewinnbeteiligung ausgeschüttet werden sollten. Der Insolvenzverwalter forderte diese Ausschüttungen zurück, da nach den von ihm in Auftrag gegebenen neuen Jahresabschlüssen für die Jahre 2009/2010 und 2012/2013 bereits kein Überschuss erzielt und zudem ein Schneeballsystem betrieben wurde.
Die von der Schuldnerin erstellten Jahresabschlüsse zum 31.03.2010, zum 31.03.2011 und zum 31.10.2012 wiesen jeweils Jahresüberschüsse aus. Dementsprechend erhielten die Anleger (Beklagten) jeweils Zahlungen auf Basisdividende und Übergewinnbeteiligung für die Geschäftsjahre 2009/2010, 2010/2011, 2011/2012 und 2012/2013.
Verdacht des Kapitalanlegebetrugs
Die hinter der Infinus Gruppe stehenden Akteure gerieten wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs in den Blick der zuständigen Staatsanwaltschaft beim LG Dresden. Am 13.11.2013 wurde beim zuständigen Insolvenzgericht ein Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Schuldnerin gestellt. Im Juli 2018 wurden Jörg B. und andere Verantwortliche der Infinus Gruppe – nicht rechtskräftig – wegen Banden- und gewerbsmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Kapitalanlagebetrug, bzw. der Beihilfe verurteilt (Hauptverhandlung vor dem BGH am 11.10.2021).
Insolvenzanfechtung der Jahresabschlüsse
Der Insolvenzverwalter focht die Feststellung der Jahresabschlüsse der Schuldnerin für die streitgegenständlichen Jahre an, soweit diese nach § 325 Abs. 2 HGB im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden sind (§§ 256, 257 AktG). Eine rechtskräftige Entscheidung hierüber steht noch aus.
OLG Schleswig – Ausschüttungen der Basisdividenden und Übergewinnbeteiligung nicht nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar
Das OLG Schleswig hielt die Ausschüttungen der Basisdividenden und Übergewinnbeteiligungen nicht nach § 134 Abs. 1 InsO für anfechtbar. Unterstellt, dass Ausschüttungen ohne Rechtsgrund erfolgt sind, fehlt die Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 BGB) und es greift auch die Kondiktionssperre aus § 817 S. 2 BGB nicht. Es liegt damit keine unentgeltliche Leistung nach § 134 InsO vor. Selbst wenn man auf die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter der Schuldnerin abstellt, würden die Voraussetzungen des § 814 BGB nicht vorliegen.
OLG Koblenz – kein Anspruch auf Rückerstattung nach § 134 InsO, da keine Überzeugung zur Unentgeltlichkeit der Ausschüttungen
Auch das OLG Koblenz ist nicht davon überzeugt, dass die Ausschüttungen unentgeltlich erfolgt sind. Unentgeltlichkeit würde lediglich dann bestehen, wenn gemäß den vereinbarten Genussrechtsbedingungen kein Anspruch bestanden hätte und zudem die Schuldnerin vom Nichtbestehen des Anspruchs gewusst hätte. Bei letztgenannter Voraussetzung fehlt es. Es komme daher nicht darauf an, ob die Schuldnerin, bzw. die für sie verantwortlich handelnden Personen Kenntnis von einem auf Betrug ausgerichteten Schneeballsystem gehabt hätten, sondern allein darauf, ob Sie Kenntnis von bilanzrechtlich fehlerhaft ausgewiesenen Gewinnen gehabt hätten. Dieses Wissen erfordere auch bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre eine Vorstellung davon, was wann im konkreten Fall mit welchem Wert hätte bilanziert werden dürfen.
BGH – Bereicherungsanspruch schließt Anfechtungsanspruch aus
Nach dem BGH steht demjenigen Schuldner, der leistet, da er sich hierzu irrtümlich verpflichtet hält, hinsichtlich der Leistung ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu, was einen endgültigen, vom Empfänger nicht auszugleichenden, freigiebigen Vermögensverlust des Schuldners und eine Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO ausschließt.
Leistung anfechtbar, wenn Gesetz- oder Sittenverstoß vorliegt
Anfechtbar ist die Leistung nach § 134 InsO nach den Karlsruher Richtern aber dann, wenn die Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB eingreift und dem Leistenden neben dem Empfang einem Gesetzes- oder Sittenverstoß zur Last fällt, welcher den Bereicherungsansprüchen die gerichtliche Durchsetzbarkeit nimmt und eine rechtshindernde Einwendung begründet. Dann liegt eine unentgeltliche Leistung im Sinne des §§ 134 Abs. 1 InsO vor (BGH, Urteil vom 27.09.2019 – IX ZR 167/18).
Verträge über Genussrechte grundsätzlich wirksam
Gleiches gilt, wenn die Kondiktionssperre des § 814 BGB greift. Die von der Schuldnerin geleisteten Überweisungen sind Leistungen, die infolge des Vermögensabfluss eine Gläubigerbenachteiligung bewirkt haben. Derartige Verträge sind nicht bereits nach § 138 BGB nichtig. Verträge über Genussrechte sind wirksam und zwar unabhängig davon, ob die Schuldnerin schon vor Beginn ihrer geschäftlichen Tätigkeit an oder vor Abschluss der streitgegenständlichen Verträge ein betrügerisches Schneeballsystem betrieben hat und ihr bewusst war, dass sie keine hinreichenden Gewinne erwirtschaften würde, und den Erwartungen der Anleger zu entsprechen, sondern zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs Ausschüttungen an die Altanlieger mit dem Geld der Neuanleger vornehmen musste.
Nichtigkeit der Verträge erst bei gemeinsamen sittenwidrigen Zweck
Derartige Verträge sind nach dem BGH erst dann nichtig, wenn der gemeinsame Zweck der Vertragspartner darauf gerichtet gewesen wäre, ein sittenwidriges Geschäft zu betreiben. Sittenwidrig wäre zudem allenfalls das von der Schuldnerin tatsächlich betriebene System, während die mit den gutgläubigen Beklagten vereinbarte Kapitalanlage unwirksam ist. Auch betrügerisches Verhalten führt nicht zur Nichtigkeit der Verträge nach § 134 BGB. Allerdings bestehen nach dem klägerischen Vortrag keine Ansprüche auf Ausschüttungen. Die Auslegung ergibt, dass der Rechtsgrund der Ausschüttungen nur dann nach dem Verständnis der Anleger gefehlt hat, wenn die festgestellten Jahresabschlüsse nach § 256 AktG nichtig sind. So müssen allerdings die subjektiven Voraussetzungen des § 814 BGB beachtet werden. So muss der Leistende gewusst haben, dass er nicht zur Leistung verpflichtet war.
Der Schuldner hat dann Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund, wenn er weiß, dass er keine Gewinne, sondern im Gegenteil Verluste erwirtschaftet und ein betrügerisches Schneeballsystem betreibt, er also weiß, dass er lediglich Scheingewinne und Scheindividenden aus den Einzahlungen vom ihm getäuschter Geldgeber auszahlt.
Danach mussten die für die Schuldnerin handelnden Personen nicht wissen, ob die Versicherungen und die Edelmetallsparpläne im Anlage- oder Umlaufvermögen mit welchen Werten hätten bilanziert werden müssen. Die Parallelwertung in der Laiensphäre kann zur Schlussfolgerung führen, dass Ansprüche der Genussrechtsinhaber nicht bestanden haben.
Aufkauf von Lebensversicherungen
Konzept der Schuldnerin war es, Lebensversicherungen aufzukaufen und so lange weiterzuführen, bis sie den inneren Wert realisieren konnten (garantierte Versicherungssumme und Überschussbeteiligung). Dieses Konzept setzt voraus, dass die Lebensversicherungen langfristig weitergeführt werden. Wurde dieses Konzept aufgegeben und sollten die Lebensversicherungen auch kurzfristig, je nach Liquiditätslage, gekündigt werden, war den verantwortlich Handelnden auch bekannt, dass der mit den Anschaffungskosten gewählte Bilanzansatz unrichtig war. Dies gilt auch bei Goldsparplänen, da nach dem zu unterstellenden Klägervortrag zu wenig Gold angespart war, als dass damit – selbst unter Berücksichtigung der Steigerung des Goldwerts – die hohen Gebühren hätten ausgeglichen werden können. Die Forderung auf Zahlung der vereinbarten ratierlich auszuzahlenden Provisionen hingegen den Lebensversicherer wegen der Vermittlung der hochvolumigen Lebensversicherungen an Unternehmen der Finanzgruppe waren ebenfalls dem Umlaufvermögen zuzuordnen und auf den niedrigeren Wert zum Abschlussstichtag abzuschreiben.
Hohes Risiko, dass Prämienzahlungen nicht dauerhaft geleistet werden können
Nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vortrag bestand ein hohes Risiko, dass die hohen Prämienzahlungen, von den Provisionen abhingen, nicht dauerhaft würden geleistet werden können. Auch diese benannten Bilanzierungsregeln mussten nicht in Einzelheiten bekannt sein, dafür die Parallelwertung in der Laiensphäre das Wissen genügen, dass Versicherungsprämien dauerhaft gezahlt werden mussten und diese wohl nicht dauerhaft aufgebracht werden konnten.
Schneeballsystem
Im Weiteren ist auch von Bedeutung, dass die Schuldnerin bewusst ein betrügerisches Schneeballsystem betrieb. Zwar sagt Schneeballsystem für sich genommen noch nichts dazu aus, ob lediglich Scheingewinne erwirtschaftet würden. Die Liquiditätsbetrachtung, ob neu angeworbene Gelder genügen, um Altanleger zu befriedigen, hat dabei keine Bedeutung für die Frage, ob ein Unternehmen Gewinne erwirtschaftet. Auch sagt das Schneeballsystem nichts dazu aus, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 134 InsO erfüllt sind, da es „das Schneeballsystem“ allein nicht gibt.
Wenn jedoch ein Schuldner, der seinen Vertragspartnern gewinnabhängige Ausschüttungen schuldet, weiß, dass er nur von den Anlegern Geld ansammelt und keine eigenen Geschäftsteile entfaltet, weiß er auch, dass er keine Gewinne erwirtschaftet und Jahresabschlüsse, welche für ihn dennoch Gewinne ausweisen, fehlerhaft sind, weil es sich um Totalfälschungen handelt. Ein Schuldner, der weiß, dass er zwar in einem geringen Umfang eine gewinnbringende Geschäftstätigkeit entfaltet, im Übrigen aber von den neuen Anlegern Geld ansammelt, um dieses an die Altanleger auszuzahlen, weiß, dass die über die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne weitere Gewinne auszuweisenden Jahresabschlüsse fehlerhaft sind, weil sie gefälscht sind oder unzulässige Bewertungen enthalten.
Erwirtschaftung von Verlusten indiziert Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund
Nach diesen Maßstäben hat ein Schuldner deswegen Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund, wenn er weiß, dass er keine Gewinne, sondern im Gegenteil Verluste erwirtschaftet, und damit weiß, dass er ein betrügerisches Schneeballsystem betreibt und damit also weiß, dass er an die Genussrechtsinhaber statt der versprochenen Gewinne und Dividenden lediglich Scheingewinne und Scheindividenden aus der Einzahlung der von ihm getäuschten Geldgeber auszahlt. Die Ausschüttungen hatten vorliegend ihre Grundlage in dem nicht zu beanstandenden Genussrechtsvertrag, der selbst nicht gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstieß (BGH, Urteil vom 01.10.2020 – IX 247/19; BGH, Urteil vom 22.07.2021 – IX ZR 26/20).
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