BGH-Neuerungen bei der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO
1.
Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist.
2.
Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
3.
Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
4.
Auf einem Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.
5.
Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände an der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.
6.
Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.
(BGH, Urteil vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20).
Mit der aktuellen Entscheidung wendet sich der BGH von seinem bisher anfechtungsfreundlichen Kurs ab und erhöht die Anforderungen an den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes im Rahmen des § 133 InsO. In ständiger Rechtsprechung konnte bisher aus der nachgewiesenen (drohenden) Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners geschlossen werden.
Hier setzt die aktuelle Entscheidung der Karlsruher Richter an. Künftig reicht es nicht mehr aus, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung seine drohende oder gar schon eingetretene Zahlungsunfähigkeit kennt. Entscheidend ist, dass er weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er auch zukünftig nicht in der Lage sein wird, alle seine Gläubiger zu befriedigen.
Kenntnis der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit hat nur noch Indizwirkung
Die Kenntnis der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit ist daher lediglich noch ein Indiz für die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes. Die Stärke dieses Indizes hängt von der Dauer der Zahlungsunfähigkeit sowie den Aussichten, diese in absehbarer Zeit zu überwinden, ab. Entscheidend ist demnach das Ausmaß der bestehenden Deckungslücke. Lässt diese, selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, eine vollständige Befriedigung der vorhandenen und noch hinzutretenden Gläubiger nicht erwarten und befriedigt der Gläubiger in dieser Lage einzelne Gläubiger, ist regelmäßig von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auszugehen. Besteht dagegen Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit, rückt der hierfür erforderliche Zeitraum sowie das Verhalten der Gläubiger in den Mittelpunkt der Betrachtung. Liegt ein erheblicher Mahn- und Vollstreckungsdruck vor, begrenzt dies den für eine Beseitigung der bestehenden Deckungslücke zur Verfügung stehenden Zeitraum.
Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit alleine nicht mehr ausreichend
Auch die drohende Zahlungsunfähigkeit stellt alleine nun kein ausreichendes Indiz mehr für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz dar. Es bedarf künftig anderer weiterer Indizien, um Rechtshandlungen des Schuldners im Stadium nur drohender Zahlungsunfähigkeit anzufechten. Neben der inkongruenten Deckung (d. h. Erbringung der Leistung anders als vereinbart, z. B. vor Fälligkeit, nur Teilzahlungen usw.) erwähnen die Karlsruher Richter hier explizit die Befriedigung von Altgläubigern außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs.
Gesteigerte Darlegungs- und Beweisanforderungen für den Insolvenzverwalter
Der Insolvenzverwalter ist auch weiter Darlegung und beweisbelastet für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers von diesem. Im Falle fehlender anderer Indizien für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz muss der Insolvenzverwalter neben der Zahlungsunfähigkeit auch nachweisen, dass keine begründeten Aussichten auf Beseitigung der Deckungslücken bestanden. Dies sei, so der BGH, regelmäßig dann anzunehmen, wenn die Ursache für die Entstehung der Zahlungsunfähigkeit nicht beseitigt war oder absehbar beseitigt werden würde.
Mit dieser Entscheidung des BGH wird die Ausrichtung der Vorsatzanfechtung geändert. Wie sich diese Rechtsprechungsänderung in der Praxis auswirkt, bleibt abzuwarten.