Neue BGH- Urteile zum VW-Dieselskandal: Was heißt das für die Verbraucher?
Der BGH verhandelte am 30.07.2020 vier weitere Klagen im Dieselskandal gegen die Volkswagen AG. Hierbei wurde zum einen entschieden, dass Käufer eines abgasmanipulierten Dieselfahrzeuges, die ihn erst nach dem 15. September 2015 gekauft haben, keinen Anspruch auf Schadensersatz haben. Zum anderen erhält derjenige, der bereits sehr hohe Laufleistungen zurückgelegt hat, auch keinen Ersatz seines Schadens. Schließlich verweigert der BGH den Käufern einen Anspruch auf Deliktzinsen.
Der BGH hat am 30.07.2020 vier Entscheidungen getroffen und damit Rechtsklarheit in einigen strittigen Punkten geschaffen.
Erste Entscheidung des BGH am 25.05.2020
Die erste grundsätzliche Entscheidung hat der BGH am 25.05.2020 in Bezug auf den Kauf eines zwei Jahre alten Gebrauchtwagen VW Sharan im Januar 2014 getroffen. Das Fahrzeug verfügte über einen Dieselmotor der Baureihe EA 189, Schadstoffklasse Euro 5 mit der Manipulationssoftware, die auf dem Rollenprüfstand einen Abgasrückführungsmodus mit einem niedrigeren Stickstoffoxid-Ausstoß als im Normalbetrieb auf der Straße einleitet. Den Einbau dieser unzulässigen Abschalteinrichtung bewertete der BGH als arglistige Täuschung der Kunden durch VW und damit als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB. Entscheidend hierbei ist, dass der Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht bekannt gewesen ist.
VW wurde zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs verpflichtet (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: IV ZR 252/19).
Neu: Kein Schadensersatz für Käufe nach September 2015
In einem der nun entschiedenen Fällen hatte der Käufer sein Fahrzeug, einen VW Touran, in dem ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung bzw. eine manipulierte Software verbaut wurde, erst im August 2016 gekauft. Zu dieser Zeit war der Abgasskandal bereits in der Öffentlichkeit bekannt. VW hat am 22.09.2015 die Verwendung der manipulierten Software öffentlich eingeräumt, nachdem US-Umweltbehörden in ihrer „Notice of Violence“ diese Verfahrensweise von VW öffentlich gemacht hatten. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte am 15.10.2015 einen Bescheid gegenüber dem VW Konzern erlassen, in dem festgestellt wurde, dass die eingebaute Abgaseinrichtung in den Dieselmotoren unzulässig ist.
Keine arglistige sittenwidrige Täuschung
Der BGH urteilte nun, dass das Verhalten von VW gegenüber Käufern, die erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals ein betroffenes Fahrzeug gekauft haben, keine arglistige sittenwidrige Täuschung war. Für die Bewertung eines Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB komme es auf den Gesamtcharakter des zu bewertenden Verhaltens des Schädigers an. Bereits im September 2015 habe VW sein Verhalten gegenüber den Käufern geändert, indem es die Käufer über den Sachverhalt aufgeklärt habe. Die Medien hätten ab diesem Zeitpunkt breit über den Sachverhalt berichtet. Damit seien Käufer ab diesem Zeitpunkt nicht mehr arglos gewesen. Folglich hätte VW auch die Arglosigkeit der Käufer nicht mehr in sittenwidriger Weise ausnutzen können.
Damit sei ein Anspruch auf Schadenersatz für Käufer, die nach September 2015 ein Fahrzeug erworben haben, nicht mehr gegeben (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 5/20).
Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren
In einem weiteren Fall hat der BGH den Schadensersatzanspruch des Käufers verneint, weil das Fahrzeug zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits eine Laufleistung von ca. 255.000 km aufwies. Der Käufer hatte das Fahrzeug gebraucht mit einem Kilometerstand von ca. 57.000 km erworben und hat dann selbst nochmals rund 200.000 km zurückgelegt. Bereits das OLG Braunschweig hatte einen Schadensersatzanspruch deshalb verneint, weil bei einem Kilometerstand von über 250.000 km die Gesamtlaufleistungserwartung des Fahrzeugs von 250.000 km erreicht sei. Der BGH hat die Entscheidung des OLG bestätigt. Der Käufer habe sämtliche Nutzungsvorteile gezogen, die beim Kauf des Fahrzeugs für dessen gesamte Lebensdauer zu erwarten gewesen seien.
Damit sei der grundsätzlich bestehende Schadensersatzanspruch durch die gezogenen Nutzungsvorteile vollständig aufgezehrt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19).
Keine Deliktszinsen für geschädigte Käufer
In einem weiteren Verfahren hatte das OLG Oldenburg der Käuferin eines im August 2014 erworbenen VW Golf neben dem Anspruch auf Schadensersatz eine Verzinsung des gezahlten Kaufpreises ab dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung zugesprochen und dies mit § 849 BGB begründet(OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019, Az.: 5 U 47/19). Nach dieser Vorschrift sind vom Schädiger sogenannte Deliktszinsen zu zahlen, wenn wegen der Entziehung einer Sache deren Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen ist. Der BGH schließt eine Anwendung des § 849 BGB deswegen aus, da die Klägerin als Gegenleistung für die Zahlung ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten habe. Durch die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit sei der Verlust des Geldwertes kompensiert worden. § 849 BGB habe den Zweck, den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache durch eine pauschalierte Verzinsung auszugleichen.
Da der Verlust der Käuferin im konkreten Fall aber kompensiert worden sei, entspreche eine Verzinsung hier nicht dem Zweck der Vorschrift komme daher nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19).
Ein nachträgliches Software-Update kompensiert den Schaden nicht
Der BGH hat in seiner vierten Entscheidung der Revision eines Klägers stattgegeben, der im April 2013 einen VW-Tiguan erworben hatte. Die Vorinstanzen wiesen die Klage noch mit dem Argument ab, der Kläger habe seiner Darlegungspflicht nicht genügt, weil er nicht dargelegt habe, welcher Täterkreis innerhalb der VW AG ihm gegenüber eine Täuschungshandlung vorgenommen haben soll. Der BGH entschied nun, dass der Kläger seiner Darlegungspflicht genügt habe, indem er behauptet habe, die dem Verhalten von VW zu Grunde liegende Entscheidungen seien auf der Leitungsebene des Konzerns getroffen oder zumindest gebilligt worden. Auch ist der Schaden des Klägers nach dem Urteil des BGH entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht durch Aufspielen des von VW entwickelten Software-Updates entfallen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 367/19).
Verbraucher haben weiterhin gute Chancen Schadensersatz von VW zu erhalten
Wir sind der Ansicht, dass selbst in Bezug auf den Motor des Typs EA 189 noch gute Chancen bestehen, einen Schadensersatzanspruch durchzusetzen:
Das aktuelle Urteil des BGH vom 30.07.2020 (Az.:VI ZR 5/20) bezieht sich inhaltlich nur auf den Dieselmotor des Typs EA 189 des VW Konzerns. Die Sittenwidrigkeit des Handelns von VW bezüglich des EA 189 Motors soll nach dem BGH ab dem 22.09.2015 entfallen sein, da die VW AG zu diesem Zeitpunkt den Einsatz der Abgasskandal-Software öffentlich zugab und damit ihr sittenwidriges Handeln änderte. VW durfte laut dem BGH davon ausgehen, dass seit diesem Datum jeder Käufer eines VW mit EA 189 Motor um die Abgasmanipulation wusste.
Urteil bezieht sich ausschließlich auf den Motor des Typs EA 189 des VW Konzerns
Selbst wenn man die Ansicht des BGH in Bezug auf den Motor EA 189 und dessen Bekanntheitsgrad unterstützt, so gilt dies beispielsweise nicht für den Nachfolgemotor EA 288. Hier haben sich die Käufer ja gerade darauf verlassen, dass nicht der Motor des Typs EA 189 verbaut ist, sondern eben ein neuer, moderner und weiterentwickelter Motor. Die Tatsache, dass VW auch in diesem eine unzulässige Softwaremanipulation vorgenommen hat, war gerade im Hinblick auf die Zugeständnisse beim EA 189, unbekannt. Die Verbraucher gingen davon aus, dass sich der Abgasskandal nur auf den Motor EA 189 bezieht.
Weitere von VW entwickelte Motoren wie beispielsweise die 3,0 l V6 TDI Motoren von Audi enthalten unzulässige Abschalteinrichtungen in Gestalt von sogenannten „Thermofenstern“. Diese Thermofenster liegen beispielsweise auch in den von Mercedes Benz verbauten Motoren des Typs OM 651 oder OM 624 vor. Zu diesen hat sich der BGH bisher noch nicht geäußert.
Käufer wissen in der Regel nicht welcher Motor im Fahrzeug verbaut ist
Ein Argument um auch in Bezug auf den Motor des Typs EA 189 Schadensersatz zu erlangen ist, dass der Käufer in der Regel gar nicht wissen konnte, welcher Motor in einem Fahrzeug verbaut ist.
Software-Update als bloße Servicemaßnahme
VW hat die Manipulation der Schummel-Software verharmlost und das Update teilweise als bloße Servicemaßnahme betitelt. Gegenüber der Presse sowie bei deren Rückrufen sprach der Autobauer von „Auffälligkeiten“ oder „Unregelmäßigkeiten“. Außerdem bewarb der Konzern verharmlosend eine „Serviceaktion“.
Software-Update behebt nicht die Mangelhaftigkeit
Hätte VW die Abgasgrenzwerte durch bessere Software erreichen können, hätten sie erst gar keine aufwändige Abschalteinrichtung bauen müssen. Trotzdem wurde zugesagt, die Mängel durch ein Update zu beheben. Wenn ein Käufer nun ein Fahrzeug kaufte und darauf vertraute, dass die Abgasmanipulation mit dem Update behoben ist, muss es in unseren Augen weiterhin einen Anspruch gegen VW geben.
Trotz der neuen BGH Entscheidungen in Bezug auf den VW Abgasskandal kann sich eine Klage auch weiterhin lohnen. Als erfahrene Kanzlei im Dieselskandal beraten wir Sie gerne zur Frage der Betroffenheit ihres Fahrzeuges und ob sich im konkreten Einzelfall eine Klage lohnt. Gerade auch Besitzer von Fahrzeugen anderer Marken wie Audi, Daimler, Seat oder BMW haben aufgrund der unterschiedlichen Motoren weiterhin gute Chancen ihren Anspruch auf Schadensersatz durchzusetzen. Sollten Sie über eine Rechtschutzversicherung verfügen, klären wir für Sie gerne im Vorfeld die Kostenübernahme.